Der 3. Dieselmotor lief in Großbritannien

 

Dieselmotor-Lizenzen für Belgien, England, Schweden und USA

 

Diesen Beitrag habe ich im Frühjahr 2022 für  das Schiffsingenieur Journal Nr. 400 verfaßt

 

 

Einführung

 

Blicken wir 125 Jahre zurück und betrachten den Zeitraum, in dem der Dieselmotor begann, die Dampfmaschinen abzulösen. In den USA wurden ab 1860 von Rockefeller und in Russland ab 1870 von Ludwig und Robert Nobel viele Bohrtürme aufgestellt, Ölquellen ausgebeutet und einfache Raffinerien gebaut. Die Elektrizität hatte begonnen, Städte und öffentliche Häuser zu beleuchten und verdrängte Gaslaternen und Petroleumlampen. Die handwerkliche Herstellung vieler Güter erfolgte zunehmend in Manufakturen und in Fabriken, Dampfmaschinen lieferten bisher die notwendige Antriebskraft.

 

 

 

Der Diesel Motor startet seinen Siegeszug

 

Beim Kaiserlichen Patentamt in Berlin meldete Rudolf Diesel im Februar 1892 ein Patent auf eine "Neue rationelle Wärmekraftmaschine" an - es wurde ein Jahr später unter DRP 67207 erteilt. Mit finanzieller Beteiligung der Maschinenfabrik Augsburg und Friedrich Krupp baute und erprobte Rudolf Diesel mit seiner Mannschaft in Augsburg ab 1893 den später nach ihm benannten Dieselmotor. Im August 1893 gab es das erste Mal eine Zündung und am 17. Februar 1894 lief er dann das erste Mal aus eigener Kraft. Nach vielen weiteren praktischen Experimenten und Änderungen lief der 3. Motor Anfang 1897. Er wurde am 1. Februar Diesels Freund Charles Dyckhoff aus Frankreich vorgeführt. Am 17. Februar 1897, also vor 125 Jahren, wurde der Motor von Prof. Schröter in einem offiziellen Versuch erfolgreich erprobt, und in Deutschland und Europa verbreitete sich die Nachricht über diesen Motor mit einem sensationellen Wirkungsgrad von rund 26% [1].

 

  1894-1897, Lizenzverträge mit Carels Frères, Deutz, Mirrlees Watson und B&W

 

Schon 1893 wurden Verträge zur Verwertung mit der Maschinenfabrik Augsburg, der späteren MAN, mit Friedrich Krupp und mit den Gebrüdern Sulzer abgeschlossen, die Rechte für das Ausland verblieben bei Diesel. Im April 1894 schloss Diesel einen Lizenzvertrag mit der Maschinenfabrik Carels Frères in Gent ab. Der Direktor H. Schumm von der Gasmotorenfabrik Deutz kam mit dem Ingenieur C. Stein Anfang Februar 1897 nach Augsburg und ließen sich den Motor mit vielen verschiedenen Einstellungen vorführen, um ihn kritisch auf Herz und Nieren zu prüfen. Nach erfolglosen Versuchen, Diesels Patente anzufechten, kam es jedoch noch im Juli des gleichen Jahres zwischen der Deutz AG, der Maschinenfabrik Augsburg und Krupp zum Lizenzvertrag [2].

 

Ende Februar 1897 haben mehrere Herren der schottischen Firma Mirrlees Watson aus Glasgow sich den Motor an mehreren Tagen vorführen lassen. Anschließend wurde ein Vertrag abgeschlossen, der eine exklusive Lizenz für die Herstellung und den Verkauf des Dieselmotors in Großbritannien beinhaltete. Im November 1897 wurde hier der erste Motor gebaut, der dritte Dieselmotor weltweit. Die Schwierigkeiten beim Bau und Weiterentwicklung des Motors überforderten jedoch die finanziellen Möglichkeiten von Mirrlees Watson, woraufhin 1899 Teile der Lizenzrechte zurückgegeben wurden. Das Dieselmotorengeschäft wurde nach späteren Umfirmierungen und Verkäufen im Jahr 2000 an die MAN B&W Diesel AG veräußert. Die Fabrik in Großbritannien wurde Mitte 2013 abgebrochen und stattdessen ein Ersatzteillager für die Versorgung der noch in Betrieb befindlichen Mirrlees-Motoren errichtet.

 

Im Dezember des gleichen Jahres erhielt Burmeister & Wain eine Lizenz für Dänemark. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der erste Dieselmotor in den USA stand in der Bierfabrik von Adolphus Busch (Quelle Wikipedia, Dr. Hochhaus)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

September 1897, Vorvertrag und Vertrag mit Adolphus Busch

 

Der deutschstämmige Adolphus Busch, der in den USA einer der bedeutendsten Bierbrauer war, kam regelmäßig nach Nürnberg, wo Europas wichtigster Hopfenmarkt beheimatet war. Bei seinem langjährigen Geschäftsfreund Berthold Bing, Teilhaber der väterlichen Hopfenhandelsfirma Bernhard Bing, kaufte er Hopfen für seine Brauereien in Nordamerika. Berthold Bing informierte ihn über den neuen Augsburger Motor von Rudolf Diesel.

 

Busch telegrafierte umgehend seinen technischen Berater Edward Daniel Meier und bat ihn, sich um die technischen Details und besonders um den spezifischen Verbrauch des Motors zu kümmern. Meier war Ingenieur und hatte sein technisches Studium in Washington absolviert und seine technische Ausbildung am Polytechnikum in Hannover abgeschlossen. Danach hatte er in Amerika bei der Eisenbahn, in der Stahlindustrie und im Maschinenbau gearbeitet und 1885 die US-Rechte an den Kesseln einer deutschen Dampfkesselfabrik erworben.

 

Die Brauereien benötigten um 1900 rund 4250 Tonnen Eis zur Bierproduktion, Lagerung und Transport, die von Dampfmaschinen angetriebenen Kältemaschinen erzeugt wurden. Dafür hatte Busch im westlichen Illinois einige Kohlegruben erworben, die die Kohle zur Dampferzeugung über eine eigene Bahnlinie heranschafften. Der hochwertige Hopfen und die frühe Einführung von externer Kühlung war ein wesentlicher Faktor für die erfolgreiche Ausbreitung vom Busch-Bier in den USA.  Das Bier wurde mit eigenen "eisggekühlten" Bahnwaggons transportiert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Edward Daniel Meier, technischer Berater von Busch, später  Chefingenieur und Schatzmeister des Busch-Unternehmens American Diesel Engine Company, die den Dieselmotor in den Vereinigten Staaten einführte. (Quelle Wikipedia)

 

 

 

 

 

Busch besuchte Rudolf Diesel am 6. September 1897 in Baden-Baden, er war in Begleitung seines Schwiegersohnes Hugo Reisinger und Bing. Er sicherte sich in einem Vorvertrag die Option für die amerikanischen Patentrechte. Meyer kümmerte sich um die technischen Details des Versuchsmotors, war im Labor und dokumentierte die Testläufe vom 30. September. Er sandte entsprechende Reports mit technischen Ergebnissen an Busch, der sich zu dieser Zeit in seinem Haus in Bad Schwalbach aufhielt. Drei Wochen später trafen Busch, Reisinger, Bing und Meyer Rudolf Diesel in München und am 9. Oktober 1897 wurde der Lizenzvertrag erstellt und unterzeichnet. Dafür erhielt Diesel von Busch eine Million Mark und 5 % Lizenzgebühren für jeden in Nordamerika und Kanada verkauften Dieselmotor. Bing erhielt 50.000 Mark Provision.

 

 

 

 

 

 

 

Bau der ersten Dieselmotoren in den Fabrikanlagen der  American Diesel Engine Company um 1900 (Quelle Wikipedia, Dr. Hochhaus)

 

 

 

 

 

 

1898, Diesel Motor Company of America

 

Bereits im Januar 1898 wurde die Diesel Motor Company of America gegründet mit Busch als Präsident. In seiner Brauerei leistete der Dieselmotor gute Dienste zur Stromerzeugung und besonders zum Antrieb der Eismaschinen. 1902 wurde das Unternehmen in American Diesel Engine Company umfirmiert und Dieselmotoren lösten in vielen Kraftwerken und Zentralen die Dampfmaschinen ab. Im Dezember 1910 einigten sich Adolphus Busch, Rudolf Diesel und die Gebrüder Sulzer darauf, das Unternehmen "Busch-Sulzer Bros. Diesel Engine Company" als Nachfolger der American Diesel Engine Company zu gründen. Zur Grundsteinlegung im März 1912 reiste das Ehepaar Diesel nach Amerika und Diesel traf sich auch mit Edison. Busch-Sulzer produzierte bis zum Zweiten Weltkrieg Motoren für Lokomotiven, für zivile Kunden und für U-Boote der US-Marine.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Um 1900 in der Petersburger Fabrik der Nobels. Rudolf Diesel und Emanuel Nobel, ältester Sohn von  Ludvig Nobel, des Bruders von Alfred Nobel (Quelle Wikipedia, Dr. Hochhaus)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Januar 1898, Lizenzverträge mit Wallenberg Atlas und Nobel

 

Der schwedische Bankier Marcus Laurentius Wallenberg und Oscar Lamm, Direktor der schwedischen Firma A. B. Atlas, besuchten Rudolf Diesel und seinen Agenten Berthold Bing, in Augsburg, um über Lizenzen für die Firma Atlas zu verhandeln. Sie besichtigten den Motor am 20. Januar und für 50.000 Kronen und einen Aktienanteil im gleichen Wert an der Gesellschaft Diesels Motorer erhielt die Firma Atlas die Lizenzrechte für Schweden. 1948 wurden die Diesel-Aktivitäten von Atlas an Nydqvist och Holm AB (Nohab) verkauft, sie wurden 1979 an Wärtsila weitergereicht.

 

Wallenberg überzeugte auch seinen Freund, den schwedisch-russischen Ölmagnaten Emanuel Nobel für seine Petersburger "Maschinenfabrik Ludvig Nobel" und der Ölfirma Branobel die Patentrechte für den Dieselmotor zu erwerben. Emanuel Nobel war der älteste Sohn von Ludvig Nobel, dem Bruder des Nobelpreis-Stifters Alfred Nobel.

 

Die "Maschinenfabrik Ludvig Nobel"  befand sich im nördlichen Teil von Petersburg auf der Vyborg-Seite.  In den ersten Jahren stellte die Fabrik militärische Produkte her wie Kanonen, Lafetten, Granaten und Minen. Nach dem Russisch-Türkischen Krieg kamen ab1878 zivile Produkte dazu und es wurde hauptsächlich das Branobel-Imperium beliefert. Zu diesen Produkten gehörten Zisternen, Bohrgeräte, Waggons, Dampfmaschinen Dampfpumpen und Kessel. Nach dem Tod von Ludwig Nobel erbte sein Sohn Carl die Fabrik, aber er starb früh und die Fabrik wurde an seinen älteren Bruder Emanuel weitergegeben. Um die Jahrhundertwende baute Emanuel östlich der Fabrik eine Wohnsiedlung für die Angestellten, mit einer Bibliothek und einer Schule. Diese Gebäude befinden sich jetzt auf beiden Seiten der Nobelskiy Gasse.

 

Die Firma Branobel, ein 1876 gegründetes Ölunternehmen der Familie Nobel in Baku, stieg zu einem der größten Unternehmen des zaristischen Russlands auf, und 1890 kamen 40 % der weltweiten Ölproduktion aus Baku. Branobel hatte bisher bei der Verarbeitung und Transport des Öls auf die Dampfmaschine gesetzt. Nobel erwarb die russischen Patentrechte und Diesel sandte die ersten Konstruktionszeichnungen an die Petersburger Fabrik der Nobels. Nach einigen Anfangsproblemen mit dem Guss entstanden 4-T-Motoren mit 10 bis 90 PS Nennleistung. Damit wurden zuerst die Dampfmaschinen zur betriebsinternen Stromerzeugung ersetzt, bald darauf auch die Pumpen der Petersburger Wasserversorgung angetrieben. 

 

 

 

 

 

 

 

Nobelfabrik in St. Petersburg

(Foto aus Sammlung von Karl Wilhelm Hagelin)

 

 

 

 

 

 

 

1903 bauten die Nobels mit der VANDAL den ersten von Dieselmotoren angetriebenen Flusstanker [3]. Sie war auch das erste Schiff, das mit  Dieselmotoren angetrieben wurde. In der "Maschinenfabrik Ludvig Nobel"  wurde 1899 der erste mit Erdöl betriebene Dieselmotor der Welt hergestellt, der im Ausland als "russischer Diesel" bekannt wurde.

 

Die Lizenznehmer und hier besonders die Petersburger und Kolomner Maschinenfabrik haben die Patentrechte intensiv genutzt, die keineswegs ausgereiften Motoren verbessert und der Anwendung zugeführt. Die seinerzeit noch nicht umsteuerbaren Motoren wurden mit interessanten Lösungen für den Schiffsantrieb nutzbar gemacht, wie zum Beispiel 1903 bei der Vandal, das erste Schiff mit Dieselantrieb. Dieser erste dieselelektrischer Antrieb wurde mit Unterstützung von Generatoren und E-Motoren von ASEA realisiert. Auf dem zweiten Schiff, der Sarmat, wurde eine technische Lösung von del Proposto und mit Dieselmotoren von der Petersburger Maschinenfabrik von Ludwig Nobel angewendet. Die beiden Lizenznehmer, die Petersburger und Kolomner Maschinenfabrik, nahmen besonders bei Flussschiffen aber auch bei Seeschiffen eine weltweit führende Stellung ein. Im Motorship Yearbook 1921 wurden zwischen 1904 und 1911 insgesamt 21 Motorschiffe registriert, davon waren 19 mit Dieselmotoren von Nobel oder Kolmna ausgerüstet worden und haben der Russischen Diesel Motor Company Lizenzgebühren eingebracht. Diese technikgeschichtliche Bedeutung war seinerzeit kaum jemand bewusst.

 

Literatur

[1] Rudolf Diesel: Die Entstehung des Dieselmotors; im STG Jahrbuch 1913 ab Seite 267

[2] Lyle Cummins: Diesels Engine; 1. Auflage 1993, Carnon Press, ISBN 0-917308-03-4

[3] Karl-Heinz Hochhaus: Russische Dieselmotor Gesellschaft; im Schiffs-Ingenieur Journal 2021

[4] Karl-Heinz Hochhaus: Dieselmotor-Lizenzen für Belgien, England, Schweden und USA;  im Schiffs-Ingenieur Journal Mai/Juni 2022