Kapitel 9

 80 Jahre Latte (1958 - 1967)

 

Wirtschaftswissenschaft: das einzige Fach, in dem jedes Jahr auf dieselben Fragen andere Antworten richtig sind.

Danny Kaye (17) 18.01.1913 - 03.03.1987 US-Schauspieler und Oscarpreisträger

 

 

Der OPDR-Frachter SANTA CRUZ,  eines der frühen Bilder (1953) von Jochen Sachse, Student des Föttinger-Saales  (Quelle Sachse)

Was sonst noch so in diesem Jahr 1958 geschah

Weltgeschichte

Der Parteichef der KPdSU Nikita Chruschtschow übernimmt die Macht.
In den westlichen Industriestaaten formiert sich der Protest gegen die Atomwaffen.
In Frankreich stürzt die Regierung, de Gaulle kommt an die Macht.

Im Irak wird König Feisal II. von putschenden Militärs ermordet.
In China wird die Landwirtschaft in Kommunen organisiert.
Das Europäische Parlament bildet sich aus Montan-Union, EWG und EURATOM.

In Genf wird die "Zwölfmeilenzone" verbindlich definiert.

Deutsche Geschichte

In der DDR werden die Bauern zu LPG's zwangskollektiviert, die noch gewählte Länderkammer der DDR wird aufgelöst.
In der BRD findet der erste "Ostermarsch" von Atomgegnern statt.
Chruschtschow fordert für Berlin eine "selbständige politische Einheit".
Die Zahl der Flüchtlinge aus der DDR in die BRD nimmt weiter stetig zu.

Technikgeschichte

Wahrzeichen der Weltausstellung in Brüssel ist das "Atomium".
Der erste amerikanische künstliche Satellit wird gestartet.

Die erste Ultraschall-Untersuchung Ungeborener wird in England durchgeführt.
Das 1954 in Dienst gestellte Atom-U-Boot NAUTILUS untertaucht den Nordpol.
Die UdSSR stellt den atomgetriebenen Eisbrecher LENIN in Dienst.

 

 

Prof. Horn  auf Lattengeld,  die Latte druckte zeitweise eigenes Geld (Quelle Latte)

 

 

9.1 Die Mutter der Latte in Berlin

9.1.1 Zum 80. Geburtstag unserer lieben Frau Latte (1958) [13]

Von F. Horn

Bei der Feier eines Geburtstages denkt man gerne daran zurück, wie es damals wohl in den Kreisen zuging, in die das Geburtstagskind hineingeboren wurde. Nun, ein Lattenveteran, der das Lattenkind damals, vor 50 Jahren, aus der Taufe heben half, müsste jetzt schon mehr als hundert Jahre zählen, sollte er selbst noch von diesen alten Zeiten als selbsterlebten zeugen. Da jedoch die damalige Zeit lange nicht so schnelllebig war wie die gegenwärtige; sondern sich alles in recht ruhigen Bahnen bewegte, wird das Bild des Schiffbauerdaseins, das sich mir in meiner Studentenzeit 1899 bis 1903 darbot; wohl nicht viel anders aussehen als das, was für die ersten Lebensjahre  von Frau Latte galt. Und so will ich denn Ihnen, meine jungen und alten Freunde aus meiner Erinnerung heraus dies und jenes, was mir so gerade einfällt und was auch bei Ihnen vielleicht noch etwas Interesse findet, von jenen alten Zeiten erzählen - nicht nur von Frau Latte, sondern von dem ganzen Treiben der damaligen Lattenbrüder.

 

Erinnerungen an meine Studienzeit von 1899-1903

Von all den schweren Sorgen und Nöten, von denen unser deutsches Volk, und mit ihm auch die deutsche Jugend, jetzt seit vielen Jahren bedrängt wird, spürten wir damaligen Studenten nicht das geringste. Selbstverständlich hatte jeder Einzelne seine privaten Sorgen und Bedrängnisse und musste sehen, wie er mit ihnen fertig wurde, aber in Gänze ging es im Studentenleben doch sehr viel sorgloser und unbeschwerter zu als jetzt. Nicht zum Wenigsten aus dem Grunde, weil in der Regel der Herr Papa seinem Sprössling mit einem leidlich auskömmlichen Monatswechsel unter die Arme greifen konnte und die Fälle daher ganz selten waren, in denen sich der Student durch Werkarbeit die Mittel für sein Studium mehr oder weniger selbst verdienen musste.  Abgesehen davon aber war das Schiffbaustudium als solches bestimmt nicht leichter als es jetzt ist, ich möchte sogar das Gegenteil behaupten.

 

Acht Linienrisse hatte der Schiffbauer abzuliefern

Auch damals schon quälte sich der Schiffbauer wie auch der Schiffsmaschinenbauer in der Regel den ganzen Tag, soweit er nicht durch Vorlesungen besetzt war, auf seinem Saal mit Studienarbeiten ab und opferte häufig auch die Sonntage der Arbeit. Und trotz all reichten die offiziellen 8 Semester beileibe nicht aus, es wurden mindestens 10, meist noch mehr. Es waren nicht Zahl und Umfang der Vorlesungen und der mündlichen Prüfungsfächer, die das Studium so erschwerten. Im Vergleich zu heute waren bei ungefähr gleicher Zahl und Art der Prüfungsfächer die Anforderungen in Mathematik und Mechanik etwas geringer, in Theorie des Schiffes sehr viel geringer, und eine Statik des Schiffes gab es noch gar nicht. Es gab nur einen reichlich urweltlichen praktischen Schiffbau, bei dem Holzschiffbau und Besegelung einen reichlichen  Raum einnahmen und man sich für den Lehrstuhlinhaber entschieden unsympathischen Eisenschiffbau an das Evangelium des Germanischen Lloyd hielt. Zusätzlich gab es, abgesehen von einer Baukonstruktionslehre, in der man u. a. in die Geheimnisse des Maurerhandwerks eingeweiht wurde, vor allem einen sehr umfangreichen, mit zwei Lehrstühlen ausgestatteten Kriegsschiffbau. Während sich aber bei den Vorlesungen und den entsprechenden Prüfungsfächern Plus und Minus im Vergleich zu heute im großen und ganzen etwa die Waage halten, wurden wir damals geradezu erdrückt von einer Unzahl von Übungsarbeiten. An Linienrissen beispielsweise hatte der Schiffbauer nicht weniger als 8 abzuliefern! 3 im Rahmen des Zeichnens von Schiffslinien, 3 für die Aufgaben A, B und C und 2 für Kriegsschiffsentwürfe. Und was waren das für Linienrisse, bis zu 4 m Länge.

 

 

 

 

Saalbibel vom Jan Schüttesaal mit Eintragungen  vom WS 54/55 (Quelle Latte)

Die Schiffbauer mussten auch eine Schiffsdampfmaschine entwerfen

Davon macht man sich heute gar keine Vorstellung mehr. Dementsprechend spielte die Latte eine ungleich viel größere Rolle als heute, und es ist kein Wunder, daß Frau Latte die Schutzheilige der Schiffbauer wurde. Aber auch sonst wurde an Übungsarbeiten das Menschenmögliche verlangt. So in der darstellenden Geometrie: eine Unzahl von Aufgaben, unter denen denkbar verzwickte Durchdringungen besonders beliebt waren. In den Maschinenelementen hatten die Schiffbauer mindestens das Doppelte der heutigen Übungsaufgaben zu machen. Ferner gab es ein Freihandzeichnen, bei dem für die Schiffbauer natürlich Bug- und Heckverzierungen von Segelschiffen an der Tagesordnung standen. Man stelle sich weiter vor: lm Schiffsmaschinenbau hatten die Schiffbauer nicht nur einen Zylinderkessel mit allen Schikanen zu entwerfen, sondern auch eine regelrechte Schiffsdampfmaschine; ich sehe noch die drei großen Blätter vor mir, auf denen ich eine Dreifachexpansionsmaschine verbrochen hatte. Den Vogel schoss aber unstreitig der Kriegsschiffbau ab: Ganze Berge von Zeichnungen, darunter Einzelkonstruktionen des Hinterschiffes mit Steven, Ruder, Welleböcken etc. Und was das Schönste dabei war, alles musste fein säuberlich ausgetuscht und es mussten runde Teile durch entsprechende Schattierung plastisch veranschaulicht werden. Der Längsriss eines Kriegsschiffes war eine listige Kombination  von Mittelschnitt und äußere Ansicht, die durch die herrlich schraffierten Schornsteine besonders eindrucksvoll wirkte. Es ist viel über die Hochschulreform gespottet worden, die seit einem halben Jahrhundert auf der Tagesordnung der Technischen Hochschulen steht und doch im Grunde bisher alles so ziemlich beim alten gelassen hat.

 

Das Schiffbaustudium konnte man nur unter dem Schutz von Frau Latte bestehen

Demgegenüber kann man aber vom Schiffbau mit Fug und Recht sagen, daß er eine sehr gründliche und segensreiche Reform, hauptsächlich was die Übungsarbeiten angeht, erlebt hat. Vor solchem Wust von Arbeiten konnte der arme Schiffbaustudent - und dem Schiffsmaschinenbauer ging es nicht besser – wirklich nur unter dem Schutz von Frau Latte bestehen. Sie nahm ihn unter ihre Fittiche, wenn er als hilfloser Neuling erstmals den Saal betrat, der fortan für  manche Jahre seine Heimat werden sollte, und half die Kameradschaft bauen, die ihn mit den Insassen seines Saales und nach und nach mit denen anderer Säle verband - und die nicht selten das ganze spätere Leben lang festhielt. Man half sich gegenseitig, wenn man bei seinen Arbeiten nicht weiter kam.

 

Ich persönlich, der ich mich dabei anfangs recht ungeschickt anstellte – ich war damals allerdings auch kaum noch den Kinderschuhen entwachsen - brauchte recht viel Hilfe, und ich weiß noch genau, wie dankbar ich dafür war, daß sie mir so selbstverständlich gewährt wurde. Es darf allerdings auch nicht verschwiegen werden, daß dabei gelegentlich zu viel des Guten getan wurde. Es gab hier und da Typen, die das Handwerk der Klugschnacker und Besserwissens sozusagen gewerbsmäßig betrieben und denen, die sie mit ihren unerwünschten Ratschlägen plagten, auf die Nerven fielen. Solche Exemplare nannten wir Wanzen. Ob wohl die Wanzen heutzutage gänzlich ausgestorben sind?

 

Trotz aller vieler Arbeit war man aber froh und wohlgemut, freute sich seines Lebens und feierte die Feste zu Ehren von Frau Latte mit aller Gründlichkeit und Begeisterung. Es waren die damals schon traditionellen Lattenfeste:

  1. Erkennungskneipe,

Ordensfest und

Lattenspritze,

wie sie auch heute noch gefeiert werden. Manches ist aber doch anders geworden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zum Ordensfest wurden Orden verliehen, eine der Möglichkeiten, um die Mitglieder der Latte und den Lehrkörper zu motivieren. Hier der 1959 verliehene Stern zum Hausorden.  (Quelle Latte)

 

Die Geschwaderkapelle spielte um 1900 eine große

Eine große Rolle spielte beispielsweise damals bei den Lattenfesten die "Geschwaderkapelle". Es war geradezu erstaunlich, wie viele Musikfreunde unter den Lattenbrüdern sich in dieser Kapelle zusammenfanden. Alles war vertreten, zahlreiche Violinen, Bratsche, Cello, Kontrabass, allerlei Blasinstrumente, Schlagzeug und Pauke. Das Lattenorchester zählte wohl an die 15 Köpfe. An der Spitze stand der Geschwaderkapellmeister - damals ein hoher Lattenwürdenträger. Lange Zeit meines Studiums erlebte ich drei Geschwaderkapellmeister, die sich nacheinander an Ehrgeiz überboten, ihre Kapelle auf ein hohes, ja klassisches Niveau zu bringen, und das gelang ihnen in der Tat in beachtlich hohem Maße. Wochenlang vor dem Ordensfest wurde mit Begeisterung geprobt, damit alles bestens klappte. Es war, offen gestanden, für mich eine große Enttäuschung, als ich im Jahre 1928 zu meiner alten Alma Mater, nunmehr als Mitglied des Lehroberkörpers zurückkehrend, nur noch kümmerliche Reste der einst so stolzen Geschwaderkapelle vorfand. Auch wurde zu meiner Studienzeit großer Wert darauf gelegt, daß beim Ordensfest eine zünftige Lattenmimik über die Bühne ging. Auf eine solche besinne ich mich noch ganz gen

 

Die erste Lattenschwester

Da hatten der oder die Verfasser in prophetischer Voraussicht - es war um die Jahrhundertwende, als es noch eine seltsame Ausnahme war, wenn ein Mädchen Abitur machte – bereits eine Lattenschwester auf die Bühne gestellt. Sie hieß Eva Klüse und brachte natürlich schwere Verwirrung unter die Lattenbrüder. Zu einem dramatischen Happy End verhalf dann die Tatsache, daß damals die Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau auf der Schleuseninsel im Tiergarten  gerade im Entstehen begriffen war, was den Verfasser der Mimik auf den genialen Gedanken brachte, die allzu eifrig im Versuchsbetrieb sich betätigende Eva Klüse ins Tankwasser stürzen zu lassen, aus dem sie dann Gott sei Dank, durch den todesmutigen Sprung des feurigsten ihrer Anbeter gerettet wurde. Ich bitte die verehrten Leser, mir diesen wohl reichlich törichten Exkurs in die Vergangenheit nicht sehr zu verüb

 

Doch genug der Erinnerungen. Frau Latte war damals in vollster Blüte. Sie hat sich diese aber wunderbar zu bewahren bewusst, trotz der schweren Zeiten, die auch sie hat durchmachen müssen. Das Alter hat ihr nichts anhaben können, und heute an ihrem 80. Geburtstag erfreut sie sich einer solchen Frische und Vitalität, dass wir sie getrost ihrer Hundertjahrfeier entgegen ziehen lassen können.

 

Es lebe unsere liebe Frau Latte!

 

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Werbung in der Ordenszeitung 1965 (Quelle Latte)

 

 

 

 

 

 

 

 

Die neue Bremen, gezeichnet vom Lattenbruder Sachse 1961 (Quelle Sachse)

 

 

9.1.2 Im WS 58/59 sind 178 Studenten bei der Schiffbauabteilung eingeschrieben N. N [13]

 

Sicher interessiert es sie, daß im WS 58/59 an der Schiffbauabteilung der Technischen Universität in Berlin 178 Studierende eingetragen sind, die auf vier Schiffbausäle verteilt sind. Vor sechs Jahren waren es noch anderthalb Säle mit kleinen 70 Figuren. Einer war Ausländer, heute sind es 41. Davon kommen 18 aus Indonesien, 8 aus Griechenland, 7 aus Indien, je 2 aus Ghana, Norwegen und Ägypten sowie je 1 aus der Türkei und Israel. 40 Studierende stammen aus der Ostzone bezw. Ost-Berlin. 63 % aller Studiker sind Schiffbauer, der Rest Schiffsmaschinenba

 

Ihre Semesterzahlen liegen traditionsgemäß zwischen 1 und unendlich. Am stärksten ist das 3. Sem. mit 41 Figuren vertreten, gefolgt vom 5. u. 7. Sem. mit 30 bzw. 26. Etwa 10 % führen schon länger als 13 Semester den Kampf zwischen Pflichtgefühl und goldener Studentenzeit. Trotzdem verließen innerhalb des letzten Lattenjahres 17 Schiff- u. Schiffsmaschinenbauer als frischgebackene Diplomingenieure unsere Hochschule oder blieben auch (als Assistenten). Viele stürzen sich dann sofort von der Hochschulbank in die Ehe, sofern das nicht schon vorher geschehen ist, denn immerhin 8 % aller Schiffbaustudenten haben sich schon während des Studiums verehelicht. Die Erfolge dieser Maßnahme heben sich gegenseitig ungefähr auf, denn was die eine Hälfte  dieses mutigen Häufleins freiwillig oder auch gezwungen an Semestern einspart, hängt die andere Hälfte dafür dran. Immerhin gibt es schon 6 Schiffbauerkinder, die fünf verschiedenen Vätern gehören, und mancher davon ist zu Recht bemüht, sich von seinem Sohn im Studium nicht überholen zu lassen. Weitere 89 sind zudem schon verlobt, wovon bezeichnenderweise der jüngste Saal die meisten Verlobten, hingegen aber keinen Ehemann aufweist. Und wenn auch auf mancher Verlobungsanzeige noch der cand. ing. fehlte, so sollte man den diesbezüglichen Delinquenten wegen ihres Mutes ruhig den cand. hei.  (Heiratskandidato) zuerkennen. Wie alle Statistiken, so soll auch diese natürlich zu einer Schlußfolgerung führen, welche am besten frei nach Leonardo da Vinci wie folgt zu fassen wäre: "Das gut verbrachte Studium ist lang".

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Blohm, er  wurde 1910 von der TH Charlottenburg zum Dr.-Ing. ehrenhalber ernannt (Quelle Latte)

 

 

 

 

 

 

 

 

9.1.3 Aus der Provinz, Kurmärklicher  Besuch – 1959 existieren doch noch Markgrafen [13]

 

(Quelle Ordenszeitung  81. Ordensfest)

 

Anlässlich der Ehrenpromotion des hochedlen Komtur

 

Schliephake, seines Standes Direktor der AG Weser, Bremen,

 

wurde ein zünftiges Latten-Meeting in der TU Berlin veran

 

staltet. Das notwendige Schultheiss-Bier spendete der nun

 

mehro hoch geehrte Komtur Schliephake. Zwar hatte ihn schon

 

ein Flugzeug aus Berlin bugsiert, aber mittels seiner flüs

 

sigen Hinterlassenschaft wurde von enem ausgesuchten klei

 

nen Teil der Berliner Lattenbrüder und dem Bremer Kurmark

 

grafen Köhler sowie dem Dipl.-Ing. Siglitz kräftig auf des

 

Spenders und der HEILIGEN FRAU Wohl getrunken. Prächtigen

 

Eindruck hinterließ der gedichtete Personalbogen des Kom

 

tur Schliephake, genannt Schlips, produziert und vorgetra

 

gen von Seiner Exzellenz Köhler. Zu schnell rann das Bier

 

durch die Körper zünftiger Lattenbrüder. Einige Teilneh

 

mer zogen es vor, teils aus Müdigkeit von der Nacht vor

 

her, teils mit der Absicht, den Unentwegten noch etwas

 

Bier zu überlassen, sich zurückzuziehen. Nach Lenzen des

 

Bierfasses trieb großer Hunger den versammelten Rest zu

 

Mutter Klemke am Ku'damm, wo Unmengen lukullischen Eisbei

 

nes vertilgt wurden. Erfreulicherweise war dafür genug

 

Kies seitens der Bremer Gastgeber vorhanden, denn aus dem

 

Erlös des Verkaufes der 80. Ordenszeitung in Bremen hätte

 

man nur einen Bruchteil des Essens finanzieren können. 

 

In zwei Gruppen wurden, ungeachtet des wartenden Flug

 

zeuges, 2-DM-Schlipse gekauft und Hotelzelte abgebrochen,

 

und mit entsprechender Vo trafen beide Gruppen in zwei

 

Taxen gleichzeitig am Flughafen ein, wo herzlicher Ab

 

schied, sogar mit Kniefall, den Kurzbesuch beendete. Man

 

dachte noch lange, nachdem das Flugzeug sich abgehoben

 

hatte, an die feuchtfröhlichen Stunden bei der „Latte".

 

9.1.4 Taufe Hermann  Blohm Saal 1961 [13]

Ein hohes 84. Ordenskapitel legte gesteigerten Wert auf das Tragen der Molchnadeln. Ehemänner und ehrenwerte Honoratioren waren arg betroffen. Es stellte sich heraus, daß größtenteils die Frauen an dem Fehlen der Abzeichen schuldig befunden wurden. Trotzdem musste von den Resten des letzten Gehalts pro Biertrinker ein Molch erfeilscht werden. Es war uns eine Freude, daß die großen Brüder des kleinen neu getauften Saales herzliche Worte fanden, die gewisse Hoffnungen auf tatkräftige Unterstützung in uns erweckte. Wir sind noch sehr bedürftig. Eine kleine Nachfeier unter einem verdächtig aufgespannten Netz im gemütlichen Kreise fand am darauf folgenden Abend statt.

 

Am 17. November 1961 erhielt der bis dato namenlose Saal EB 104 die Bezeichnung HERMANN BLOHM SAAL. Für die Saalmitglieder wird der Name des Schiffbauersaales verpflichtend sein. Sehr viele Ehrengäste waren zur feierlichen Namengebung erschienen. Leider konnten nicht alle Studenten der Abteilung Schiffstechnik zu Gast sein, da die Raumfrage zur argen Bedrängnis geworden wäre. Damit gab es jetzt 5 Säle, den Fritz Horn-, Jan Schütte-, Hermann Föttinger-,  Friedrich Sass-Saal und jetzt den Hermann Blohm-Saal.

 

Hermann Blohm wurde 1848  in Lübeck geboren, absolvierte eine Schiffbaulehre in Lübeck und Bremen und studierte anschließend in Hannover, Zürich und an der Königlichen Gewerbeakademie in Berlin. Diese wurde 1879 zusammen mit der Bauakademie  zur Technischen Hochschule Charlottenburg, die um 1900 weltweit als Eliteschmiede für Ingenieure galt. Später wurde sie in Technische Hochschule Charlottenburg-Berlin umbenannt und 1949 als Technische Universität Berlin neu gegründet.

 

Hermann Blohm wurde 1910 von der Technischen Hochschule Charlottenburg, an der Vorgängereinrichtung, der Gewerbeakademie hatte Blohm studiert, zum Dr.-Ing. ehrenhalber ernannt.  Auch seine Söhne, Rudolf und Walter Blohm verbrachten einen Teil ihres Studiums an der Technischen Hochschule Charlottenburg. Rudolf Blohm erhielt hier 1912 sein Diplom. Etwa zu dieser Zeit wurde für die Latte die „Dr.-Ing. Hermann Blohm“-Stiftung eingerichtet. Sie stammt aus der Zeit vor dem Krieg, aber die Firma Blohm und Voß in Hamburg hat aus Anlass ihres 50-jährigen Bestehens die durch die Inflation vernichtete Stiftung mit 50.000 RM. erneuert.

9.1.5 Familiengeschichten - Liebe zwischen Mutter und Tochter

Fahrt zur Heiligen Frawe zu Hannover mit einem Stück als Geschenk (1962)

Und es begab sich zu der Zeit [13], da sich der Geburtstag der Heiligen Frau Latte näherte, daß eine Einladung des Ordenskapitels der Heiligen Frawe zu Hannover an das OK der Heiligen Frau zu Berlin erging. Besagtes Berliner Ordenskapitel beschloss unverzüglich, der Einladung Folge zu leisten, charterte ein Autobahn tüchtiges Schiff und stellte sich vor die Frage nach einem passenden Geschenk. Berliner Bären lagen schon dreiliterweise in Hannover; Schilder abmontieren kann man auch nicht jedes Jahr, weil dann die Hannoveraner und Ausländer sich in Berlin nicht mehr zurechtfinden, und das Verschenken von Freiheitsglocken (aus Porzellan) hat schon der  Senat übernommen. Nach einigen schlaflosen Nächten hatte die Heilige Frau die rettende Idee: Dem Zustand, daß das Hannoveraner Ordenskapitel bisher nicht in der Lage war, bei der Lattenspritze S.M. Neptun mit einem Achtung gebietenden Schuss aus einem Stück zu begrüßen, musste abgeholfen werden. Kurzerhand wurde die Werft eines Berliner Großkomturs h. c. zur Waffenschmiede ernannt. Der besseren Geheimhaltung wegen übernahm der Kanzler selbst die Kanonendreherei. Um die feindliche Spionage irrezuführen, wurde als Rohling für das Geschützrohr eine ausgediente Propellerwelle verwendet.

 

Nach zwei Tagen war ein Lager der Drehbank heißgelaufen und das Stück, Kaliber 20L/15, fertig. Am 8.12. morgens nahm das Ordenskapitel Proviant und Treibstoff an Bord, ergänzte die Besatzung durch einen in Hannover beheimateten Lotsen, einen Kellermeister, einen Schriftgelehrten und zwei Geschenkträger, umschiffte die Berlin vor gelagerten Untiefen und Slalomstrecken und ging auf Voll Voraus. Hannover wurde so rechtzeitig erreicht, daß noch vor Beginn des Ordensfestes ein kräftiges Eisbein eingenommen und die neuen Zeichensäle der dortigen Schiffstechniker gebührend bewundert werden konnten. Um es vorwegzunehmen, das Fest war eine Wucht. Das Bier schmeckte prächtig, die Backschafter waren fleißig, das Volk war durstig und zahlreich, das Hannoveraner OK ebenfalls. Da dort der Stammhalter der Ritterschaft Hamburg zum Ordenskapitel gehört, sind es zusammen vier Figuren. Mehr werden es wohl nicht werden, denn der Stammhalter beeilte sich, dem Volke kundzutun, daß er kein Vater werde.

 

Nach diesem Gag und der Beschwörung des Geistes der Heiligen Frau ging es gleich ganz groß los mit einer Wahlrede des Vertreters des "Gesamtstudentischen Blocks". Aus Platzmangel muss der Chronist darauf verzichten, hier das gesamte Wahlprogramm des GSB wiederzugeben. Internationale Beachtung verdient aber seine Forderung nach studentischer Gleichberechtigung; denn es ist in der Tat ein Überbleibsel aus der Zeit des Absolutismus, daß der Professor allein das Recht hat, bei unbefriedigenden Antworten des Prüflings die Prüfung abzubrechen, während der Student bei unziemenden Fragen des Prüfers völlig wehr- und rechtlos ist. Nach dieser mit nicht Enden wollendem Beifall aufgenommenen Wahlrede, folgten Begrüßungen, Mimiken und Darbietungen der lautstarken Kapelle in buntem Wechsel. Auch wir brachten unsere Grüße und unser Geschenk, versehen mit einer ausführlichen Schießanweisung, dar. Die Freude des Hannoveraner Ordenskapitels über den unerwarteten Zuwachs an Macht- und Geräuschmitteln war so groß, daß der Zeremonienmeister kaum ein Wort herausbrachte. Das Ordensfest gipfelte in der Verteilung der Orden, die in großer Zahl angefertigt worden waren. Viele Leute wurden dergestalt geehrt, auch der Pedell kriegte einen Orden ab, woraufhin er selbstherrlich wurde und das Volk aus der Festhalle hinaustrieb, denn es war schon wenige Minuten nach Mitternacht!

 

Der nächste Tag begann lyrisch: "Leer gebrannt ist die Stätte" usw. Kein Ordenskapitel da, kein Stück da, kein Bier da. Die Sonne schien auch nicht. Das Ordenskapitel lag im Bett, das von uns wenige Stunden zuvor überreichte Stück war von Hamburger Piraten entwendet und das Bier von übereifrigen Kellermeistern in unzugängliche Räume gebracht worden. Mit einigen bedauernden Worten für das Hannoveraner Ordenskapitel, dem es nicht vergönnt war, sich länger als wenige Stunden an den erhaltenen Geschenken zu erfreuen, zogen wir von dannen, um uns in der Mensa zu stärken und das Hannoveraner Nachtleben zu studieren. Klüger sind wir hierbei nicht geworden; zu studieren gab es da nichts und das Herrenhäuser Bier ist auch keines. Am nächsten Tag gelang es uns dennoch, zu den Bierlasten der Hannoveraner vorzustoßen  und genügend Treibstoff für die Heimfahrt an Bord zu nehmen, womit der glücklichen Beendigung der Expedition in die Gefilde der Heiligen Frawe zu Hannover nichts mehr im Wege stand.

 

Das Berliner OK 1964 beim Ordensfest  der Heiligen Frawe in Hannover [13]

Das Jahr 1964 war schon dabei, sich langsam in die Vergangenheit einzureihen, da drang aus Hannover die Kunde an die Gestade Berlins, daß man in der Welfenstadt an der Leine, den 13. Geburtstag der Heiligen Frawe zu begehen gedachte. So wurde  dann die Privatyacht seiner Herrlichkeit klargemacht, die Bierlast ergänzt, und nachdem die Mannschaft vollzählig an Bord war, setzte Se. Herrlichkeit den Kurs auf Hauptrichtung" West" ab und ließ die Maschine jubeln. Inzwischen gab jeder der Besatzung seinen Einstand, während Se. Exzellenz der Zeremonienmeister die genaue Einhaltung von Kurs und Geschwindigkeit innerhalb der 150 sm-Zone aus der Luft überwachte. So geschah es dann auch, daß am vorausberechneten Schnittpunkt der Kurse Se. Exzellenz übernommen wurde und der Bierlast den Garaus machte. Dann folgten wir den Leuchtfeuern der Hafeneinfahrt und fanden schließlich unseren Liegeplatz und willige Lotsen, die uns den Weg zur Proviantübernahme zeigten.

 

Man machte sich landfein, um nun unter Mitführung der Geschenke als geschlossene Mannschaft im Festsaal Einzug zu halten. Festliche Stimmung und überall frohe Erwartung begrüßte die Ankommenden und steigerten unseren Durst ins Unermessliche. In bunter Reihenfolge rollte darin ein Mammutprogramm ab, unterbrochen von 2 geistvollen Mimiken und dem Getöse der Geschwaderkapelle. Orden wurden verteilt, unter denen der U-Boots-Orden, verliehen für das erste Auftauchen von Jungschiffbauern oder Bräuten ans Licht der Welt, der begehrteste, vielleicht auch am häufigsten verliehene war.

 

Und wie dies in der hohen Politik so üblich ist, übereichten die Würdenträger befreundeter Städte Geschenke und wurden dafür mit dem Hausorden ausgezeichnet (es kostet ja nichts). So eilte das Fest mit Riesenschlucken seinem Höhepunkt zu, man löste sich auf, soff auf der Ordensmeisterkammer weiter und wollte schließlich noch etwas erleben. So zog der Chronist von Kneipe zu Kneipe, um noch irgendwo mit zwei anderen Lattenbrüdern einen gepflegten Bier-Lachs zu spielen, während - so geht die Sage - zwei andere Berliner Lattenbrüder zusammen auf dem Wappentier der Leinestadt zu reiten versuchten, was aber an unzureichenden Aufstiegsmöglichkeiten scheiterte. So traf sich denn alles vor dem Schlafsaal für große Jungs, wo dann doch noch bis zum ersten Hahnenschrei ein leider trockener Skat gespielt wurde. Am nächsten Morgen, als auch der letzte aus seiner warmen Koje gefallen war, traf man sich in dem "ach so vornehmen" Hotel "Schloßwende" zum Katerfrühstück. Doch war dieses Etablissement so vornehm, daß Gulaschsuppe nur an Hochzeitsgäste ausgegeben wurde. So musste sich der Chronist mit einem doppelten Dornkaat und Bier zufrieden geben. Dann fuhren wir unseren Luftüberwacher zu seinem Vogel; denn er wollte noch zu gerne sehen, wie Hannover 96 gegen Hertha BSC verlor, aber der Wettermacher war dagegen und bestrafte seine Vorfreude durch mehrere Stunden Aufenthalt zwischen Hannover 96-Fans ohne Schultheiss-Pils. (Übrigens: das Spiel endete 1 : 1)

 

 

Professor Strohbusch bei der Geburtstagsfeier (Quelle Latte)

 

 

9.1.6 Der 85.Geburtstag wird 1963 gefeiert [13]

E. Strohbusch

In unzähligen Reden und vielen Festschriften ist die Geschichte der Latte erzählt und sind ihre Vorzüge gepriesen worden. Dem lässt sich Neues nicht hinzufügen.  Daß die Heilige Frau nunmehr ihren 85.Geburtstag begehen kann, ist allein noch kein Beweis ihrer Existenzberechtigung. Aber es muss etwas an ihr dran sein, wenn sie zwei Weltkriege, zwei Geldentwertungen, viele Wirtschaftskrisen, die verschiedensten politischen Systeme, einen völligen Wandel der sozialen Struktur und der Lebensformen überdauert hat.


Daß die Latte nach dem "absoluten Nullpunkt" von 1945 so schnell zu neuer Blüte kam, verdankt sie allerdings nur der Initiative ihres Großkomturs, Seiner Stabilität Prof. Horn, und einiger anderer Komture.  Im übrigen aber wird die Latte nicht gestützt oder am Leben erhalten durch ihre "Alten Herren", die Komture, die ihre durch die Erinnerung vergoldeten Formen des Studiums durchaus der neuen Jugend aufzwingen wollen. Träger der Latte sind die Knappen und Ritter unserer Abteilung Schiffstechnik,  jeweils für wenige Jahre im akademischen Leben unserer Hochschule. Es ist nicht zu übersehen, dass auch dem Gedeihen der Latte der übersteigerte Individualismus abträglich wird, der heute gerade in Mode ist. Seine Jünger merken gar nicht, dass sie sich das Leben nicht etwa erleichtern oder schöner machen, sondern das Gegenteil bewirken.  Trotz solcher Erscheinungen ist mir um die Zukunft der Latte nicht bange. Stellt man sich in allen Konsequenzen vor, diese Vereinigung existiere nicht, dann kann die Folgerung nur sein: Gäbe es die Latte nicht, so müsste sie schleunigst geschaffen werden.

 

 

Vom Barras zum Schiffbau [13]

N.N

Der Chef hat gesprochen, und sein Wunsch ist mir Befehl. Es gilt, ein paar Zeilen zum  Ordensfest zu gebären, und in der Erfüllung des Wunsches liegt die erste Erkenntnis: Die "Latte" gibt viel und darf dafür wünschen!  Wahrhaft ketzerisch in den ersten Zeilen schicke ich voraus, daß Bundeswehr und ein echter Heyefall meine junge Seele entsetzten, mir aber auch den Unterschied zwischen Wunsch und Befehl klarmachten: Beim Wunsch ist der Chef  freundlich, im anderen Falle vergrätzt. Der Chef hat also gesprochen und gewünscht, und er hat mir sozusagen als roten Faden den Tip gegeben: "Schreiben Sie doch was über ´Vom Barras zum Schiffbau' oder so, und ich weiß eigentlich gar  nicht so recht, was da zu Papier zu bringen ist. Zum einen war ich nicht bei der Marine, sondern bei den Kameraden von der Geflügelzucht, denn Luftwaffensoldaten haben eine Schwinge auf dem Rockärmel, und zum anderen saß meine Familie seit Generationen im Binnenland. Eine anständige Entschuldigung fällt damit flach. Warum also ausgerechnet Schiffbau?

 

In einer jener bläulichen Nächte jedenfalls scheint mich die Liebe zu allem, was da strakt und schmiegt, überfallen zu haben. Die Anmeldeformulare für "Berlin" und "Hannover" waren bald ausgefüllt, und "Hannover" antwortete mit einem Zulassungsbescheid am übernächsten Tag, während sich die Berliner etwa fünf Monate Zeit ließen. Mit der Gelassenheit des Exgefreiten setzte ich mich nach Eintreffen desselben in den Zug und bewegte mich in Richtung Frontstadt. All zuviel Zeit blieb nicht, denn mit der Gemütlichkeit der Berliner kamen für mich Platz- und Zeitängste auf: woher so schnell ein Zimmer nehmen, wie die Eintragungen schaffen? Wer kennt noch den Witz über den Neuen, der schon nach dem ersten Semester wusste, wo das WC im Hauptgebäude war? Und wer hat schon mal ganz frischgebackene Soldaten marschieren sehen?

 

Sehr bald jedoch wurde es lichter: in großen Sälen arbeiteten viele rülpsende Leute, von denen uns fast jeder gut und gern, jeder aber unter gewaltiger Entfaltung seiner einzigartigen Persönlichkeit (wenn das nicht gedruckt wird, bin ich sauer) unter die Arme griff. Belehrungen über alles wurden da abgehalten, und wiederum sehr bald kam der große Tag der offiziellen Vorstellung. Schnuller, Senf und Schlafanzüge gab es da zu sehen, und schon war ich versucht, in irrer Steigerung: "Stimmung, Freibier, Latte" zu schreien, als mir in rüdem Ton geboten wurde, mich bäuchlings unter den Tisch in den imaginären Doppelboden zu begeben. Dort formulierte ich dann in Verkennung der Situation im Geiste eine Beschwerde. 

 

Nach etlichen Übungen ließ man uns dann aber in Ruhe, so schlecht sind die Menschen doch nicht. Mittlerweile hatten die ersten Vorlesungen stattgefunden. Was da von unseren Meistern mit einiger Nonchalance als "trivial" abgetan wurde, war umwerfend. Mein Entsetzen wuchs jedoch ins schier Unendliche, als Kommilitonen gleichen Semesters anfingen, mit diesem Begriff zu hantieren. Sind die wirklich alle so schlau?  So wurden die ersten Monate überstanden. Oft wurde gestaunt, manchmal war es nicht leicht und häufig sehr schön.  Schließlich aber werden wir Neuen die Alten sein, und wer hätte bei der Gelegenheit nicht schon genüsslich grinsend an den gedacht, der es noch wagt, Schiffbauer zu werden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ordenszeitung 1962 (Quelle Latte)

 

 

 

 

9.1.7 Mit der HL. Frau 1966 nach Schlicktau und Bremen  [13]

Jürgen Wessel

Den Sachkundigen war es schon lange klar, den Unkundigen sei es hiermit kundgetan: Die Latte zu Berlin hat ein ganz neues OK. Die zornigen jungen Männer der Abt. Schiffstechnik nehmen nun schon fast seit einem Jahr die Interessen der HFL wahr. Die neue Devise heißt sachliche und fachgerechte Initiative und nicht mehr marionettenhafte Befolgung eines überkommenen Lattencomments. Die Auguren sagen für das Jahr 1986 voraus, daß bei den dann stattfindenden Lattenforen Kaffee und Coca Cola genippt werden. Charakteristisch für die Progressive Initiative des amtierenden OK’s war die Lattenexkursion nach Wilhelmshaven und Bremen. Für den Chronisten ist es vielleicht auch interessant zu wissen, daß die Fahrt zur Waterkant nur deshalb möglich wurde, weil sich das 88. OK zeitweilig in das Kielwasser einer International bekannten Maschinenfabrik begab.

 

Mit dem Linienbus nach Hannover, Zug nach Bremen

Am Sonntag, den 16. Januar nahmen 15 erwartungsvolle Knappen und Ritter, auch zwei kürzlich examinierte Diplomingenieure in einem Linienbus mit Ziel Hannover Platz. Zufrieden, unter der Pression deutscher Gegenwartsgeographie die eigene Meinung nicht verraten zu haben, erreichten die seewärts stürmenden Lattenbrüder Hannover, das sie bald zu Bahn in Richtung Bremen verließen. In Bremen warteten pünktlich die Bundesmarine mit Bus und Brüggemann. Brüggemann, seines Zeichens ROI, wurde in Marinekreisen mit dem Slogan „Brüggemann macht`s möglich“ apostrophiert, womit auch seine große Hilfe für die Lattenexkursion treffend beschrieben war. Über die phantasievollen Initialen der BM, wie ROI und LtdRBDir im hektographierten Programm des Marinearsenals, dessen Gäste die Berliner für zwei Tage sein sollten, sinnierend, erreichten sie nach zweistündiger Fahrt das Marinedorf Wilhelmshaven. In Wilhelmshaven (im Kasinojargon Schlicktau) machten die Jungs von der Latte die Bekanntschaft mit der Inkarnation bundesdeutscher Marinetradition: dem Briefkasten der Kaiserlichen Werft. Die Fahrt durch Wilhelmshaven führte auch am Werfttor I des Marinearsenals (ex Kriegsmarinewerft, ex Reichsmarinewerft, ex Kaiserliche Werft) vorbei. In diesem Tor hängt heute noch ein in Betrieb stehender Briefkasten mit viel gusseisernen Verziehrungen und der schönen Aufschrift ‚Kaiserliche Werft’. Nicht ohne einen gewissen Glanz in seinen Augen verwies ROI Brüggemann auf diese Relikte aus glanzvollen Tagen, als noch SM mit großer Suite durch dieses Tor zum Stapellauf der Schiffe seiner schwimmenden, schimmernden Wehr gefahren kam.

 

Begrüßung durch den Leiter des Marinearsenals (ex Kaiserliche Werft)

Der offizielle Teil der Exkursion begann am Montag, dem 17.1. um 9 Uhr mit der Begrüßung des Leiters des Marinearsenals, dem LtdRBDir Fenselau, im großen Sitzungssaale.  Über knarrende Treppen in schmalen, preußisch kargen Fluren, durch die der alte Tirpitz noch geschritten sein mag, eskaladierte die Studentengruppe in das Werfttor I. Aufrecht, massiv, mit energisch knappen Bewegungen, in kurzem klaren Satzbau sprechend, so tritt der Herrscher über 3.000 Untergebene, ein Marinearsenal und einen Briefkasten der Kaiserlichen Werft, nicht eindruckslos auf. Das empfindliche Zivilistenohr registriert aufmerksam, daß die Vokabel „Herr“ bei Adressierung Untergebener durch gemäßigt rauhen aber kameradschaftlichen Kommandoton substituiert wird. Der LtdRBDir referierte mit Hilfe von Dias über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des MArs Whavens, ohne den eigenen Beitrag zu bagatellisieren.

 

Früher war es eine marineeigene Werft, in der Kriegsschiffe aller Größen gebaut wurden. Das größte in dieser Reihe lief Anfang 1939 vom Stapel und war die berühmte TIRPITZ. Interessant in diesem Zusammenhang war die Schwierigkeit beim Stapellauf, verursacht durch die Länge des Schiffes und die Enge des Hafenbeckens. Unter Ausnutzung der reflektierenden Welle des gegenüberliegenden Kais, wurde dieser Stapellauf ein stolzer Erfolg und in der schiffbaulichen Welt berühmt.

 

Besichtigung des Zerstörers BAYERN der Bundesmarine

Heute freilich, bei der Bescheidenheit der maritimen Wehrintentionen, erledigt das MArs nur noch Reparaturdienste und zwar nur solche, die weder die kommerzielle Werftindustrie, noch die inländische Zulieferindustrie bewältigen kann. Beim Rundgang durch die Werkstätten sahen die Lattenbrüder viel Geheimes. Nur zögernd berichtet der Chronist von all den idealisierten Schwimmkörpern und den vollautomatischen ballistischen Geräten, die dort in mühevoller Heimarbeit liebevoll gehegt und gepflegt werden. Am Nachmittag erreichte das Exkursionsprogramm einen ersten Höhepunkt: Man durfte den Zerstörer BAYERN besichtigen den z. Zt. modernsten und größten Zerstörer der Bundesmarine. Zunächst wurden die Berliner von einem Bootsmann über die allgemeinen Abmessungen des Schiffes informiert.

 

Mit 136 mtr. Länge und 3.500 tons. Verdrängung ist der Zerstörer länger als ein Linienschiff der DEUTSCHLAND - Klasse  und verdrängt soviel wie ein Kreuzer der EMDEN - Klasse der Kaiserlichen Marine. Schaulustig gaffend schlenderten die Jünger der HFL sodann an Bord, ohne auf das geheiligte Ritual beim An-Bordgehen eines Kriegsschiffes Rücksicht nehmen zu müssen.  Durch enge Gänge, sparsame Messen, senkrecht abfallende Niedergänge und durch utopische ABC-Schleusen zwängten sich die von solcher Art Schiffsarchitektur tief beeindruckten bierbäuchigen Schiffbauadepten. Selbst der moderne Gefechtsstand des Kommandanten eines Kriegsschiffes, die Operationszentrale mit dem Radarleitstand, tief im Innern des Schiffes, wurde gezeigt. Wenn das Schiff ins  Gefecht geht, so wird es nach außen völlig gegen Atomverseuchung luftdicht abgeschlossen.

 

Die Panzerung wird ersetzt durch Schnelligkeit

Innerhalb des Schiffes schließen die 17 Abteilungen so, daß nur noch vertikale Bewegungsmöglichkeiten gegeben sind. Selbstverständlich, daß es keine Bulleyes mehr gibt. Das Schiff besitzt seine eigene künstliche Luftversorgungsanlage. Für den Laien zunächst unverständlich ist die Tatsache, daß diese Schiffe aus ganz gewöhnlichen Schiffbaublechen zusammengeschweißt sind, also unter Verzicht auch auf die geringste Panzerung. Die Panzerung wird ersetzt durch Schnelligkeit, Beweglichkeit, vollautomatische Bewaffnung und hoffentlich bessere Radarausrüstung als die des zu erwartenden Gegners. Auf eine einfache Formel gebracht bedeutet das: Wer den anderen zuerst ortet und zuerst schießt, der gewinnt. Mit dem Wissen um diese letzten Erkenntnisse moderner Taktik gingen die Exkusionisten bei Dienstschluss mit den zu harmlosen Zivilisten konvertierten Besatzungsangehörigen an Land.

 

Abends war ein kleiner Umtrunk. Laut Programm des MArs sollte es am Dienstag früh mit zwei Schnellbooten des 2. Schnellbootgeschwaders in See  gehen. Eis, das durch Wind in den Hafen trieb, veranlasste  die Schnellboote, schnellstens den Hafen zu verlassen, um vor dem eisfreien Helgoland vor Anker zu gehen. Diese bedauerliche Nachricht erhielten die darob sehr betrübten Lattenbrüder kurz vor dem Frühstück. Bei Ende des Frühstücks war bereits ein Ersatzprogramm für den Dienstag zusammengestellt mit den Punkten: Schleusenbesichtigung, Ölhafenbesichtigung und Besuch der Jadewerft in Wilhelmshaven. Unvorhergesehener Weise konnten in Nähe der Schleuse  auch einige Schnellboote besichtigt werden, was mit dem Resultat geschah, daß man sich glücklich schätzen konnte, bei Kälte und Wind und Seegang nicht mit einem Schnellboot in der Nordsee herumfahren zu müssen.

 

Lattenabend bei der Marine

Von der Notwendigkeit einer Schleuse und eines Ölhafens in W-haven überzeugt, fuhr die Gruppe in ‚ihrem’ Bundeswehrbus zur kleinen jedoch leistungsfähigen Jadewerft, wo die Studiosi freundlich empfangen wurden. Mit einem ausgezeichneten Kurzreferat über Entwicklung und Produktion der Werft empfing der Chef, der Komtur der HFL zu Berlin Zeigerer seine Gäste. Bei der sich dann anschließenden  Besichtigung unter Führung des Komturs Pelleter wurde manch interessantes Beispiel für gelungene Improvisation mit bescheidenen Mitteln gezeigt. Am Nachmittag stand Nachhilfeunterricht über Marinegeschichte auf dem Programm. Als Anschauungsmaterial dienten der Ehrenfriedhof, der Traditionssaal mit vielen schönen Bildern von Ebert, Hindenburg, Heuss, Kaiser Wilhelm II, Lübke und anderen vaterländischen Symbolen. Nachdem die Exkursionisten auch noch die Garnisionskirche gesehen haben, wussten sie um die Freude, Deutscher zu sein. Laut hektographierten Programmen war für abends um 20 Uhr kameradschaftliches Zusammensein mit Herren des Marinearsenals vorgesehen. Aber so schlimm wurde es gar nicht, man zelebrierte lediglich einen Lattenabend im kleinen Rahmen mit zeitweilig melancholischen Untertönen, als Glanz und Elend der HFL heraufbeschworen wurde.

 

 

 

 

 

 

 

 

Werbung für Supramar 1966 in der Latte-Zeitung (Quelle Latte)

Stapellauf beim Bremer Vulkan

Es versteht sich von selbst, daß so mach altes Schiffbauergarn gesponnen wurde, als die Marinebauräte von heute mit den hoffnungsvollen Dipl.-Ings von morgen klönten. Am Tag darauf waren die schaulustigen Berliner Lattenbrüder mit Hilfe des unermüdlichen R0I Brüggemann und dessen Bundeswehrbus in Bremen  Vegesack, um dort selbst des aufregenden Spektakulums des Stapellaufs eines 39.600-Tonnen-Schiffes teilhaftig zu werden.  Mit hochvorzüglicher hanseatischer Erbsensuppe gestärkt, sah so manch ahnungsloser Student des Schiffbaus zum ersten Mal einen Stapellauf eines so großen Schiffes.  Daran anschließend war Werftbesichtigung. Als ultima ratio dieses Besuchs war allen klar, daß es ohne Schweißerinnen und ohne elektronisches Rechenzentrum keine moderne Großwerft geben könne.  Abends war Eisbeinessen, wiederum auf Kosten des spendablen Bremer Vulkans. Drei Stunden später - Lattenabend mit der Kurmarkgrafschaft Bremen. 24 Stunden danach fand die Lattenexkursion auf dem Stuttgarter Platz in Berlin ein glückliches Ende.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Fusion vom Fritz Horn – und  Hermann Föttinger Saal (Quelle Latte)

 

9.1.8 Zum 88. Ordensfest (1966)

Aus der Sicht des derzeitigen Ordenskapitels [13]

Am 7. Dezember 1878 ist der "Heilige Orden der Schiffbauer-Latte zu Berlin" gegründet worden und hat sich allem Unbill des Zeitgeschehens zum Trotz bis heute zu halten vermocht. Seither führt er, inzwischen zur "Schiffbauervereinigung Latte" an der Technischen Universität Berlin geworden, als Zeichen das damals gewählte Panier eines Spantrisses und den altbekannten Lattenzirkel. Die an der Molchnadel erkenntlichen Mitglieder der Gemeinschaft bilden die Schar der Getreuen der Heiligen Frau Latte, sie wählen alljährlich ihren Vorstand, der als Ordenskapitel (OK) die Geschäfte führt und die Interessen der Vereinigung nach innen und außen vertritt.

 

Dem OK obliegen die Leitung und die Verteilung gemeinnütziger Arbeiten

Dem Ordenskapitel (OK) obliegen die organisatorische Leitung und die Verteilung anfallender gemeinnütziger Arbeiten innerhalb einer Gruppe, die  zur Zeit aus vier Teilen, den Saalgemeinschaften bestehen und auf eine 88-jährige Tradition zurückblicken. Die Aufgaben einer Vereinigung, wie sie die Latte darstellt, können sich jedoch nicht in der Wahrung und dem Weiterführen des Überlieferten erschöpfen, sondern müssen umfassender gesehen werden. Es ist für die Gegenwart wenig Erfolg versprechend, wenn man ständig in die Vergangenheit starrt und dabei rückwärts in die Zukunft läuft. Ritus und Form allein reichen nicht aus, um die Existenz der "Latte" zu rechtfertigen, sie kann lediglich den äußeren Rahmen bilden und zu einer gewissen Geschlossenheit des Auftretens führen. Die "Latte" ist eine Interessengemeinschaft der Studierenden der Schiffstechnik. Sie hat nur dann eine Lebensberechtigung, wenn sie in ihrem Aufbau und mit allen ihren Unternehmungen auf das Hauptziel ausgerichtet ist. Das Studium der Schiffstechnik zu fördern und zu erleichtern. Alles, was darüber hinausgeht oder nicht in logischem Zusammenhang mit diesem Leitgedanken steht, kann und muss als nebensächlich angesehen werden. Wie jede Vereinigung kann auch die "Latte" nur dann die an sie gestellten Forderungen erfüllen bzw. der Erfüllung nahe bringen, wenn alle Mitglieder über ihre Einzelinteressen hinweg bereit sind, einen Beitrag zu leisten.

 

Es wird niemals zu einer lebendigen und wirkungsvollen Gemeinschaft kommen, wenn sich viele auf Kosten einiger Gutwilliger jeglicher Mitarbeit enthalten und nur alle Vorteile in Anspruch nehmen. Neben den laufenden Arbeiten, z. B. der Beschaffung neuer und der Wartung von schon vorhandenen Studienhilfsmitteln (Fachbücher, Zeichengerät u. s. w.) sind  noch weitere, nicht routinemäßige Einsätze notwendig. Vermehrte Initiative auf fachlicher und gesellschaftlicher Ebene kann wesentlich zur Bereicherung des Lebens innerhalb der Fachschaft beitragen und den Einblick des Einzelnen vertiefen. Es gibt kaum eine Abteilung in der Technischen Universität Berlin, innerhalb derer das Zahlenverhältnis von Lehrenden und Lernenden so günstig ist, wie gerade für die Fachschaft Schiffstechnik. Die Voraussetzungen zu engen Kontakten von Studenten und Professoren und Assistenten sind denkbar gut.

 

In fast jeder schiffstechnischen Institution sitzen ehemalige Lattenbrüder,

Sich untereinander nicht kennen zu lernen und zu unterstützen, ist für die Studenten im Verlaufe des ganztägigen Saallebens nur bei übergroßem Egoismus und einiger Rücksichtslosigkeit möglich. Auch Kontakte zur Praxis, das heißt fachlich nahe stehende Firmen  und Dienststellen, sind gut herzustellen, denn in fast jeder dieser Institutionen sitzen ehemalige Lattenbrüder, wenn nicht aus Berlin, so doch aus Hannover, Aachen oder noch aus Danzig, sie sind zur Hilfe fähig und bereit. Darüber hinaus gibt es noch zahlreiche Lattenbrückenköpfe, etwa die Kurmarkgrafschaften, auf deren Beistand man sich verlassen darf. Alle diese ausgesprochen günstigen Voraussetzungen zeichnen der "Latte" einen festen Weg vor. Sie muss sich ihrer Hauptaufgabe bewusst sein und sich aller ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten erinnern und bedienen. So kann sie eigene Exkursionen rüsten, Vorträge veranstalten und Geselligkeiten größeren Stils vorsehen. Wichtig erscheint hierbei, daß jeder sich aus seiner Reserviertheit löst, daß die einzelnen Saalgemeinschaften sich nicht abkapseln und daß auch die Berliner "Latte" nur einen Teil des Ingenieurnachwuchses der westdeutschen Schiffstechnik zusammenfasst und somit auf die Zusammenarbeit mit den Parallelvereinigungen angewiesen ist.

 

Vornehmste Pflicht der Gesamtheit aller studentischen Schiffbauervereinigungen ist es, ihre Mitglieder schon während des überwiegend theoretischen Studiums auf die Praxis vorzubereiten und mit ihr in Verbindung zu bleiben. Sollte die "Latte" jedoch in Selbstgefälligkeit versinken und sich verschließen, sich nur noch dem Erhalt des Übernommenen widmen, so wird sie in der Routine erstarren, unproduktiv sein und dem eigenen Untergang unaufhaltsam entgegendämmern.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Äquatortaufe, Illustration der Ordenszeitung 1959 (Quelle Latte)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

9.1.9 Wahl des 89. Ordenskapitel [13]

Höchst unangenehme Angelegenheit. Das Lattenvolk wie üblich ein passiver Haufen, jeder einzelne finster entschlossen, kein Amt zu übernehmen und sich im Übrigen möglichst über die Dummen zu amüsieren, welche es erwischt. Ton vorherrschend agressiv, Gemeinschaftsgeist zeigt sich höchstens nach der Versammlung in winzigen Gruppen Unzufriedener. Kandidaten werden nicht gewählt, sondern verurteilt. Gegengründe werden nur anerkannt, wenn sie lautstark, hartnäckig und möglichst primitiv vorgetragen werden. Wer bescheiden ist oder sich schämt, vielfach genannte Gründe auch für sich in Anspruch zu nehmen, bleibt aufgestellt. So entsteht eine Auslese, welche, als Positivum zu betrachten, die Primitivlinge und faulen Drückeberger vom Amt zurückhält. Sehr negativ ist jedoch dabei, daß auch die schlagfertigen, Beredsamen, mit Durchsetzungskraft Versehenen ausgeschieden werden. Meist stehen als Folge ruhige, mit wenigen Führungseigenschaften behaftete Kandidaten auf der Liste. Es muss im Ältestenrat unbedingt darauf hingearbeitet werden, daß unsere Herren Professoren sich an den Wahlversammlungen beteiligen, wie das in Aachen seit je erfolgreich praktiziert wird. Wenn ihr Interesse am Fortbestand der Latte wirklich so groß ist, wie immer betont wird, so können sie auch einmal ihre Persönlichkeit in die Waagschale der Lattenbegeisterung werfen. Überhaupt ist von dem Interesse der Professorenschaft an den Vorgängen innerhalb der Latte wenig zu spüren.

 

Die Wahl des 89. Ordenskapitels der HFL zu Berlin wurde am 2. 2. 1966 um 16 Uhr c.t. im EB 202 in Anwesenheit von vier Professoren der Abteilung und des Ältestenrates durchgeführt. Das zukünftige Ordenskapitel bilden Lothar Heyde, (Friedrich Sass Saal FSS), Heinrich Schütz (FSS), Eicke Berner, (Jan Schütte Saal JSS). Zwei der Präexzellenzen haben sich schon vor der Wahl bereiterklärt, eines der hohen Ämter zu übernehmen, der dritte hat sich von der Wahlversammlung überzeugen lassen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die EDV zieht auch bein Schiffbau ein (Quelle Latte)

 

9.2 Neubau Hauptgebäude der TU-Berlin  [2]

1958 erfolgt die Grundsteinlegung für den zur Straße des 17. Juni gelegenen Teil des Hauptgebäudes sowie für das gegenüberliegende Nordgelände. Als die neue Front des Hauptgebäudes 1967 fertig gestellt ist, stehen die Ereignisse des Umbruchs aller überkommenen Strukturen vor der Tür. 1968 wird auch das Humanistische Studium an der Technischen Universität abgeschafft.

 

9.2.1 Mauerbau 13. August 1961

Durch den Mauerbau am 13. August 1961 werden die in der DDR lebenden Studenten von der TU Berlin abgeschnitten. Vorher kam zwischen einem Drittel und der Hälfte der Studierenden von dort. Westberliner Jugendliche und Studenten protestieren mit einem Schweigemarsch gegen die Errichtung der Mauer. Die Gesellschaft von Freunden stellt unverzüglich für vom Ostteil abgeschnittene Studenten über 1.000 Arbeitsplätze zur Verfügung.

 

Das Architekturgebäude wird nach Plänen des TU-Professors Bernhardt Hermkes errichtet, den Flachbau des Gebäudes (1962 - 1969) entwirft Hans Scharoun. Auch der Franz-Fischer-Bau von Willy Kruer wird in dieser Zeit errichtet. Erstmals werden Kunststoffplatten zur Verkleidung der Fassaden verwendet. 

 

Der Frauenanteil beträgt 1965 ca. 5 %. Er steigt in der Folgezeit durch die an die TU verlagerte Gewerbelehrerausbildung und die Einrichtung von Hauptfachstudiengängen innerhalb der zur Philosophischen Fakultät umgewandelten Humanistischen Fakultät. Studierende organisieren die "Studienhilfe der Studentenschaft e. V.". Hier gibt es einen Schreibmaschinenverleih und eine Lehrbuchsammlung, Vorlesungsmanuskripte werden hergestellt.

 

9.2.2 Beginn der Studentenunruhen (1967)

Der FU-Student Benno Ohnesorg wird am 2. Juni 1967 bei einer Demonstration gegen den Besuch des Schah von Persien von einem Polizisten erschossen. An der FU und auch an der TU Berlin kommt es im November 1967 innerhalb der Studentenbewegung zu Unruhen. Aus den Wahlen zum Studentenparlament geht eine "linke" Studentenvertretung hervor.

 

Auf anonymen Flugblättern werden Rektoren und Akademischer Senat wegen der Talare mit Figuren aus dem Karneval verglichen. Daraufhin beschließen die Professoren, um möglichen Störungsversuchen der Studierenden vorzubeugen, die Rektoratsübergabe ohne Amtstracht durchzuführen. Dennoch stören die Studenten durch Zwischenrufe und Klatschen die Rektoratsübergabe im neu eröffneten Auditorium Maximum. Die Studierenden hatten zuvor den Rektor Kurt Weichselberger aufgefordert, in seinem Antrittsvortrag Stellung zu aktuellen politischen Fragen zu nehmen, was er abgelehnt hatte.

 

9.3 Lehrer, die in diesem Zeitraum von 1968 bis 1977 begannen

1964-1999    Kruppa, C. (Dr.-Ing., Inhaber der silbernen und goldenen Silberne Ehrennadel der  der STG) Hydrodynamik

 

 

 

 

 

Frachtschiff STOLZENFELS der Deutschen Dampfschiffsgesellschaft Hansa mit  2 Stülcken Schwergutbäumen (Quelle Latte)

 

 

 

 

 

 

9.4 Das Maritime Umfeld

Die Probefahrt [13]

Die Menschen stehen zu Gruppen geballt. Schutzsuchend drängen sie sich vor dem rauen Wind zusammen. Sie warten. Hin und wieder glimmt der Feuerpunkt einer Zigarette auf. Dann haben sie ihre Arbeitsgeräte bekommen und zerstreuen sich. Der beißende Geruch kochenden Teers steigt in die Nase. Es ist noch dunkel. Vom Kran stößt der gelbliche Strahl eines Scheinwerfers auf den Schiffsrumpf am Ausrüstungskai herab. Plötzlich fährt das Wummern eines Presslufthammers wie ein Aufschrei durch den Morgen. Unerbittlich und hart. Ein neuer Tag bricht an. Die Arbeit spannt die Menschen ein. Es weht kalt her vom Wasser. Die kleinen Wellen brechen sich schmatzend an den Pollern, halten Zwiesprache mit den Meermuscheln.

 

Die Barkasse legt an. Über wankenden Steg geht es ins Boot. Alles ist feucht und unwirklich. Zwei, drei Ingenieure in blauen Overalls und ein paar "Zivilisten" steigen zu. Der Morgen dämmert. Ein schmaler Streifen über dem Wasser. Die Menschen schweigen. Die Kälte und der vom Wind zerrissene Zigarettenrauch stehen zwischen ihnen. Das Boot pflügt durch das Wasser. Unterdrückte Spannung steht in den Gesichtern der Insassen. Das Bevorstehende, zu Erwartende? Vielleicht. Oder auch nur die Geburtsstunde dieses Tages, das Klare, Frische des Augenblicks.  Es ist schon heller. Das bleiche Tuch der Dämmerung ist weit über den Himmel gespannt, aus der Dunstglocke über dem Wasser schält sich jetzt der Leib unseres Schiffes. Der Landgang schwingt unter uns. Wir sind an Bord des Tankers, der heute auf Probefahrt geht.  "An Bord"- Was für ein Wort! Männlich, bestimmt und abenteuerlich. Eine andere Welt. Erinnerungen an Jugendträume.  Ein grelles Bild der Phantasie, vom Salz- und Tanggeruch zum Leben erweckt. Kindisch. Warum eigentlich? Sicher, an Bord ist ein hartes Brot, und die Probefahrt des Schiffes ist alles andere als romantisch und abenteuerlich. Und doch falsch. Geben wir es ruhig zu. Neben der eigentlichen Arbeit und fern der lastenden Routine ist diese Fahrt ein Abenteuer, ein Wagnis, wie immer, wenn sich der Mensch der Natur stellt. Denn trotz der Technik und imponierender Abmessungen bleibt unsere Arbeit nur hinfälliges Werk. Nun stehen die spitzen Schreie der Sturmmöwen über uns.

 

Der Tanker strebt zur offenen See. Die Sonne bricht durch.  Es scheint ein schöner Tag zu werden. Aber jetzt ist keine Zeit mehr für diese Betrachtungen. Ankermanöver, Rudermanöver, Meilenfahrt. Es herrscht ein strenges Reglement. Wenn das umfangreiche Programm pünktlich abgewickelt werden soll, muß jeder Handgriff sitzen, muß alles wie am Schnürchen gehen. Im Rhythmus zweier Schichten wird das Pensum bewältigt. Im Maschinenraum versteht man sein eigenes Wort nicht mehr. Die Manometernadeln torkeln wie betrunken und schlagen aus, als wollten sie ihr Gehäuse sprengen. Es riecht nach Öl und Schmierfetten. Das Dröhnen der Aggregate legt sich wie eine Klammer um den Kopf, und die Hitze macht träge und schlaff. Die Männer arbeiten wie ein Uhrwerk.  Sie sind aufeinander eingespielt und verlieren so leicht nicht die Ruhe. Und zwischendurch bleibt auch noch Zeit für einen "Schnack". Dann verbindet sie alle die Seefahrt, der Salzgeschmack und der Tanggeruch.

 

Das Essen in den Messen vereint sie für kurze Zeit, die Ingenieure, Garantiemaschinisten, die Vertreter der Versicherung und der Reederei. Dann heißt es wieder Posten gefasst, beobachten, notieren, berechnen, kontrollieren: Drücke, Temperaturen, Leitungen, Ventile, Verschlüsse, Kesselwasserproben, Dampf-Proben, "Maschine volle Kraft voraus“.  Es wird nichts geschont. Die Maschinen müssen ihr Letztes hergeben. Man will wissen, was in ihnen steckt. Eine große Zerreißprobe, eine Prüfung auf Herz und Nieren.  Wird der angegebene Druck erreicht? Wie steht es mit den Verbräuchen? Die große Wirtschaftlichkeitsprüfung steht noch bevor. Es wird nichts ausgelassen, nichts geschenkt.  Die Männer vom Lloyd oder Norske Veritas und die Vertreter der Reederei wollen und müssen sichergehen. Und sie werden von den Ingenieuren und Arbeitern der Werft zufrieden gestellt. Notfalls heißt es dann: "Wiederholen".

 

 Zwischen zwei Zügen aus seiner Schipperpfeife zerdrückt ein Schlosser einen Fluch: "Die können heute wieder nicht genug bekommen". Nun werden die Tanks gedrückt. In der Pumpenkammer ist der Lärm womöglich noch betäubender als im Turbinenraum.  Auch hier wachen zwei Schlosser. Man hat nichts vergessen. Die Kammern sind überbelegt, und jeder hat seinen Platz an einer Maschine, einer Fahrtafel, einem Verschluss. 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Wunsch nach einem Seefahrtspraktikum (Bild Sachse, Quelle Latte)

Dann stehen wir auf dem Poopdeck an der Reling. Sonnenuntergang! Wie das Licht wegstirbt und das Wasser dunkler wird! Gleich flüssigem Metall auf den Wellenkämmen der Widerschein der Sonne. Nichts steht hier zwischen dem Menschen und der Natur. Über uns wölbt sich ein weiter hoher Himmel. Man spürt die Unendlichkeit der See. Hier auf dem Meer hat der Mensch noch nichts verderben können. Es ist noch alles unberührt und ursprünglich geblieben. Vielleicht liegt darin der Reiz, der Zauber einer Seefahrt.  In der Nacht senkt sich plötzlich Nebel herab. Er verschluckt alles, auch unser Schiff. Eine Heulboje klagt und die Nebelhörner entfernter Schiffe stöhnen auf und verstummen wieder. Sie lassen die Schiffe um uns erst deutlich werden. Wir liegen vor Anker und warten.  Im Steuerhaus geht der Kapitän unruhig auf und ab.  Stunde um Stunde verrinnt. Das Warten zermürbt, macht nervös.

 

Am anderen Tag will es nicht hell werden. Der Nebel deckt alles zu. Endlich geht er doch hoch und erlaubt die Rückfahrt. Wir nähern uns der Werft. Als wir von Bord gehen, bleibt etwas von uns zurück. Wünsche, Hoffnungen, ein Stück vertrauter Umgebung? Wer weiß. Wir sind wieder an Land. Die Werksirene zerreißt die Gedanken, hart und unerbittlich. Ein neuer Tag verlangt seinen Tribut.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tanker Tina Onassis im Trocken- Dock 2 vom NDL (Quelle DSM)