Karl-Heinz Hochhaus

1. Einführung

 

Bereits vor über 100 Jahren wurde in Zehdenick an der Havel gezeigt, wie ein nachhaltiger Massenguttransport mit dem Schiff erfolgen kann. Mit über 100 elektrisch angetriebenen Binnenschiffen, deren Strom weitgehend mit Wasserkraft erzeugt wurde, transportierte man jährlich bis zu 200 Mio. Ziegel- und Kalksandsteine nach Berlin [1].

 

Die Watt-Akkumulatoren-Werke A. G., eine Tochter der Accumulatoren-Fabrik Aktiengesellschaft (AFA) hat um 1900 als Nachfolgefirma einer Studiengesellschaft die Ziegel-Transport-Aktiengesellschaft (ZTG) in Zehdenick gegründet, um die Anwendung ihrer Akkumulatoren am Beispiel des Massengütertransportes in der Binnenschifffahrt zu demonstrieren.Die AFA wurde ursprünglich von Adolph Müller und einigen Freunden am 17. Dezember 1887 als offenene Handelsgesellschaft "Accumulatoren-Fabrik Tudorschen Systems Büsche & Müller"gegründet und am 27. Dezember handelsgerichtlich eingetragen. Am 19. Juli 1890 wurde sie mit Kapitalbeteiligung der beiden Elektrokonzerne Siemens und AEG in die Accumulatoren-Fabrik Aktiengesellschaft mit einem Gesamtkapital von 4,5 Millionen Mark und Sitz in Berlin umgewandelt. Die Blei-Accumulatoren wurden vorwiegend für ortsfeste Anlagen verwendet. Für die Zugbeleuchtung, Straßenbahn, Grubenlokomotiven und Boote wurden andere Bauarten entwickelt. 1904 wurde das Großwerk Berlin Oberschönweide errichtet und die Fabrik in Zehdenick als Zulieferbetrieb eingerichtet.

 

Zu dieser Zeit wurden Binnenschiffe bis auf wenige Ausnahmen getreidelt, gesegelt (Abb. 1) oder in großen Verbänden von Dampfschleppern gezogen. Auf der Elbe hatte sich die Kettenschifffahrt durchgesetzt und am Teltow-Kanal wurden die Schleppkähne vom Ufer aus von kleinen elektrischen Lokomotiven gezogen, wurden also elektrisch getreidelt. Eigenen Antrieb hatten um 1900 nur einige Eilfrachtschiffe, Schlepper und Passagierschiffe.

2. Gründung einer Studiengesellschaft zum Schiffsantrieb

 

1904 bildete die Watt-Akkumulatoren-Werke mit der Cäsar Wollheim Werft eine Studiengesellschaft, um den Schiffsantrieb mit Elektromotoren, die von Akkus gespeist wurden, zu untersuchen. Dafür bot sich die an der Oberhavel gelegene Zehdenicker Ziegelindustrie mit rund 60 Ziegeleien an, die zu dieser Zeit riesige Mengen an Ziegelsteinen herstellten und nach Berlin transportieren ließ. Die Schiffe wurden zu dieser Zeit vorwiegend von Zehdenicker Schifferfamilien auf der Havel und den Kanälen nach Berlin getreidelt, gesegelt oder seltener von Dampfschlepper mit langsamer Geschwindigkeit gezogen, um die Ufer nicht zu beschädigen.

 

Um Erfahrungen im Reedereibetrieb und Ziegelsteintransport zu nutzen und zu sammeln, war neben den Watt-Werken die Berliner Kohlenhandlung, Reederei und Werftbetrieb Cäsar Wollheim sowie fünf Ziegeleibesitzer an der Studiengesellschaft beteiligt.

 

 

 

 

Abb. 2: Antriebsmotor der elektrischen Ziegelkähne, die überwiegend in Kiel gebaut wurden

(Quelle: Elektrisch angetriebene Propeller,  STG Jahrbuch 9. Band, 1908)

 3. Vorteile des E-Antriebes

 

Mit der Durchführung der Vorversuche und der Leitung der Studiengesellschaft wurde der Ingenieur W. Schäfer, ehemaliger Direktor der Watt-Werke, betraut. Die Versuchsstrecke Zehdenick-Berlin verlief überwiegend auf Kanälen und es waren 8 Schleusen zu durchfahren. Gerade bei der Schleusenfahrt konnten die Vorteile des elektrischen Antriebs mit guter Manövrierfähigkeit, steter Betriebsbereitschaft und gutes Anfahr- und Bremsverhalten demonstriert werden. Die detaillierten Untersuchungen eines Umlaufes mit Laden der Akkus, Beladen der Schiffe in Zehdenick, Fahrt nach Berlin, Löschen der Ladung in Berlin, Ladung der Akkus und Rückfahrt nach Zehdenick ergaben, dass ein erfolgreicher Gesamtbetrieb neben dem elektrischen Schiffsantrieb unbedingt einen mechanisierten Umschlag an den Berliner Wasserstraßen bzw. Häfen erforderte.

 

 

Abb 3: Wassermühle in Zehdenick im Mühlendamm, hier wurde später auch der Strom aus Wasserkraft für die Ziegelkähne erzeugt (Foto Dr. Hochhaus)

4. Beschreibung der elektrisch angetriebenen Finowmaßkähne

 

 Mit der 1901 gegründeten „Schiffswerft von Caesar Wollheimwurde die Konstruktion, der Bau und die Ausrüstung von zwei eisernen Finowmaßkähnen mit E-Motor und Propeller verhandelt, die anschließend gebaut und im Dezember 1905 abgeliefert wurden. Die Kähne mit 40 Meter Länge, 4,6 Meter Breite, 1,4 Meter Tiefgang hatten rund 188 - 205 Tonnen Tragfähigkeit. Der E-Antrieb hatte eine Nennleistung von 7 PS bei 120 U/min. Die Akkus hatten ein Gewicht von rund 10 Tonnen, eine Ladefähigkeit von 660 Amperestunden und benötigten etwa 6 Stunden zum Aufladen in Zehdenick oder Berlin. Der Stromverbrauch betrug beladen Richtung Berlin etwa 80 bis 90 Kilowattstunden (kWh), leer auf der Rückfahrt 60 bis 70 kWh. Der Strom in Zehdenick war sehr billig und betrug 4 Pfennig je Kilowattstunde, da er vom eigenen Wasserkraftwerk bezogen wurde. In Berlin wurden 10 Pfennige bezahlt. Die elektrisch angetriebenen Kähne benötigten trotz der 8 Schleusen nur rund 1,5 Tage für die Fahrt nach Berlin.

 

Nach erfolgreichen Vorversuchen wurden rund 120 Binnenschiffe bei verschiedenen Werften bestellt und an die Transportgesellschaft abgeliefert. Auch sie erhielten im Gegensatz zu den üblichen Schleppkähnen mit Finowmaß einen kleinen Maschinenraum mit einem elektrischen Gleichstrommotor (Abb. 2), der einen vierflügeligen Festpropeller antrieb. Die  Schiffe  wurden in der werkseigenen Zehdenicker Werft mit 80 AAkkuzellen ausgestattet. Die Entfernung Zehdenick-Berlin betrug rund 80 km, daher erhielten die Ziegelkähne Akkus für eine Reichweite von rund 100 km. Der Raum für die Akkumulatoren befand sich vor dem Maschinenraum. Mit dieser Antriebsanlage konnte die Geschwindigkeit des Schiffes in mehreren Stufen bis auf 5 km/h eingestellt werden. Diese Geschwindigkeit wurde gewählt, da zu dieser Zeit erheblich langsamer getreidelt wurde. Wenn bei günstigem Wind Masten aufgestellt und gesegelt wurde bzw. Dampfschlepper lange Schleppzüge zogen, waren die Geschwindigkeiten niedriger. Höhere Geschwindigkeiten hätten auch die Uferböschungen beschädigt.

 

  

Abb. 4: Luftbild Zehdenick , die Ziegelkähne liegen an der Ladestation am Mühlendamm und die Akkus werden geladen. Rechts ist die alte, noch in Betrieb befindliche, undlinks danebem die neue Schleuse gut zu erkennen

(Quelle Schiffsmuseum Zehdenick)

 5. Aufbau der Stromversorgung und Reparaturwerft in Zehdenick

 

 In Zehdenick wurden aufgrund der erfolgreichen Vorversuche die Weichen für die Umsetzung des Großbetriebes gestellt. Die ZTG kaufte 1906 das Zehdenicker Werk der Watt-Akkumulatoren-Werke A. G. mit den Fabrikanlagen und den drei Generatoren mit insgesamt 300 kW Nennleistung zur Stromerzeugung durch Wasserturbinen auf dem Mühlendamm (s. a. Abb. 3 und 4). Für die Zeit der wasserarmen Sommermonate mit wenig Stromertrag wurde eine Kessel- und Dampfmaschinenanlage zur Stromerzeugung gebaut. Ebenfalls am Mühlendamm entstand ein Anlegesteg mit einer großen Stromladestation für die Schiffakkus, die zukünftig mit regenerativem Strom geladen wurden

(s. a. Abb 4). Die vor dem Gelände der Watt-Akkumulatoren-Werke gelegene Werft mit Slipanlage wurde übernommen und hier entstand zusätzlich ein großes Trockendock (Abb. 5), um eine leistungsfähige Basis zur Revision, zur Reparatur und Unterhaltung des eigenen Schiffsparks in Zehdenick vorzuhalten.

 

Abb. 5: Plan von Zehdenick um die Jahrhundertwende mit Akkufabrik, Trockendock, Schleuse und Mühlenbetriebe (Foto Dr. Hochhaus)

6. Umschlag der Steine

 

Die Steine wurden von Zwischenhändlern an die Baustellen verkauft, die sich auch um den landseitigen Transport kümmerten. Bisher wurden die Steine der Privatschiffer auf Holzkähnen im Treidel- und oder Schleppbetrieb nach Berlin gebracht und hier an den Löschplätzen in der Nähe der Baustellen vom Schiffer und seiner Familie mit Schubkarren an Land geschoben und hier abgesetzt (Abb. 6). Am Ufer wurden die Steine von Hand auf Pferdefuhrwerke geladen und von den Fuhrleuten zu den Baustellen gefahren. Hier gab es in der Regel nur kleine Lagerplätze und abhängig von der jeweiligen Verarbeitung von den Maurern auf den Baustellen und dem Tempo der Fuhrleute lagen die Ziegelsteinschiffe lange an den Entladestellen. Die für die Schiffs-Liegegebühren, das sogenannte „Ufergeld“, zuständige Stromverwaltung berechnete pauschal 8 Mark für die ersten 6 Tage. Daher dauerte das etappenweise Löschen häufig auch solange und eine Rundreise der Privatschiffer dauerte mindestens 2 Wochen.

 

 

 

 

Abb.6.: Der Schiffer löscht  die Ziegel-steine in Berlin mit dem Schub-karren, die Kähne liegen bis zu 6 Tage in Berlin

(Quelle Wikipedia)

7.  Umschlag der Steine mit Krananlagen

Das war für die künftigen motorisierten höherwertigen und teureren Ziegelkähne zu lange, daher wurden mit der Cäsar Wollheim Werft außerdem elektrische Umschlagseinrichtungen für Berlin geplant, die gleichzeitig als Ladestationen der Akkus dienen sollten. Erste kombinierte Krananlagen mit entsprechenden Einrichtungen wurden bei der Benrather Maschinenfabrik in Auftrag gegeben. Mitte 1905 hatte die Studiengesellschaft für den Urbanhafen in Berlin Kreuzberg von der Stadt Berlin eine Konzession für den Kranbetrieb erhalten. Mit den ersten Schiffen wurde Anfang 1906 ein Versuchsbetrieb begonnen. Die Elektro-Schiffe bewährten sich und es wurden weitere fünf neue Schiffe bei einer Brandenburger und der Wollheim Werft bestellt.

 

Im März 1906 wurden die ersten Elektrokräne mit den als „Steinplateaus“ (heute sagen wir dazu Paletten) bezeichneten Umschlagseinrichtungen geliefert, im Urbanhafen  (Abb. 7) am Landwehrkanal und im neuen Osthafen bei Stralau installiert, und es erfolgten die ersten Versuche mit der Kranverladung von Ziegelsteinen. Die den heutigen Paletten ähnlichen Steinplateaus wurden auf dem Schiff von Hand mit rund 1.500 Steinen beladen, vom Kran gleich auf die landseitigen Pferdewagen gehievt und erst am eigentlichen Bauplatz wieder abgeladen. Diese Methode bewährte sich. zwei Umschlagsvorgänge waren eingespart, und die Kähne konnten umgehend zurückfahren. 1906 wurden bereits rund 50 Rundreisen absolviert und etwa 2,5 Mio. Ziegelsteine nach Berlin verfrachtet (ca. 50.000 Steine pro Reise). 1907 waren 3 Kräne in Betrieb und es wurden rund 10 Mio. und 1908 rund 26 Mio. Steine verfrachtet und in Berlin gelöscht. Die Kräne gehörten teilweise der Stadt und der Gesellschaft, die meisten wurden von der Firma Adolf Bleichert & Co. in Leipzig geliefert. Für die Verteilung der Steine an die Baustellen und den Handel gründete die AFA am 1. September 1906 die Firma "Steinhandel Gmbh mit einem Gesellschaftskapital von 500.000 Mark.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Berliner Technikmuseum, Blick von oben auf einen Kaffenkahn im Erdgeschoß, mit dem Berlin um 1900 mit Steinen zum Hausbau versorgt wurde (Foto Dr. Hochhaus) 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bis 1910 standen insgesamt 12 dieser Kräne im Berliner Stadtgebiet, die der Gesellschaft vorzugsweise in Frachthäfen aber auch an Ufern und Brücken wie der Charlottenburger Dovebrücke.

 

Urbanhafen März 1906 ........................................in Betrieb gesetzt

Bundesratsufer Juli 1907 .....................................in Betrieb gesetzt

Weigandufer (Neukölln) Oktober 1907.................in Betrieb gesetzt

Frechtstraße Januar 1908 ...................................in Betrieb gesetzt

Nordufer März 1908 .............................................in Betrieb gesetzt

Dovebrücke (2 Kräne)  Mai und Juni 1908 ..........in Betrieb gesetzt

Schönhauser Vorhafen Juli 1908 ........................ in Betrieb gesetzt

Humboldhafen (2 Kräne) Mai 1909.......................in Betrieb gesetzt

Potsdamer Hafen (2 Kräne) Februar 1910............in Betrieb gesetzt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Blick auf einen Teil der Ladung  (Foto Dr. Hochhaus)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1911 wurden rund 80 Mio. Steine transportiert. Erst in diesem Jahr wurden sich die meisten Ziegeleibesitzer der rund 40 Zehdenicker Ziegeleien einig, bildeten eine Verkaufsvereinigung und erteilten der ZTG einen Vertrag zum Transport von fast 180 Mio. Ziegelsteinen, für 1913 und 1914 jeweils rund 200 Mio. Ziegelsteine. Dass diese Zahlen letztlich nicht realisiert wurden, hing mit der inzwischen eingetretenen Stagnation der Wirtschaft zusammen und auch die am Horizont drohende Kriegsgefahr wirkte sich nachteilig aus. Insgesamt  kam diese äußerst umweltschonende Schiffsantriebsart über 40 Jahre zur Anwendung.

 

Abb. 7: Landwehrkanal, der Urbanhafen um die Jahrhundertwende. Im Vordergrund halb links liegt ein für diese Zeit typischer Ziegelkahn. Später wurde der Hafen zugeschüttet und hier befindet sich jetzt das Urbankrankenhaus. Rechts zweigt der Luisenkanal ab, eine Verbindung zur Spree, die heute später zugeschüttet wurde (Quelle Wikipedia).

 

 

8.  Zusammenfassung und Ausblick

 

 Vor dem Hintergrund des inzwischen in Kraft getretenen Pariser Klima-Abkommen vom Dezember 2015 wird dargestellt, dass unsere Vorväter bereits den elektrischen Schiffsantrieb mit Einsatz von Akkumulatoren auf der Havel durchführten. Auf dem Teltowkanal wurden zum Treideln rund 30 kleine über Oberleitungen gespeiste E-Loks (Abb. 8) mit einer Stromzuführung von 550 Volt Gleichstrom mit Leistungen um 30 kW eingesetzt.

 

Deutschland hat sich verpflichtet, bis 2050 den CO2-Ausstoß um 80 – 95% reduzieren. Dazu gehört auch ein weitgehend CO2-freier Straßen- und  Wasserverkehr. Bisher gibt es dafür keine schlüssigen Pläne jedoch viele Untersuchungen und Versuche mit Oberleitungs-LKW auf der Autobahn und ein von der TU-Berlin durchgeführtes spannendes Forschungsvorhaben [3].

 

Der Blick zurück zeigt, vor über 100 Jahren wurde von Zehdenick an der Havel ein nachhaltiger Massenguttransport von Ziegelsteinen nach Berlin durchgeführt. Über 100 elektrisch angetriebenen Binnenschiffe, der Strom wurde umweltfreundlich mit Wasserkraft erzeugt, transportierten jährlich bis zu 200 Mio. Ziegel- und Kalksandsteine nach Berlin.

 

Daher rührt der Spruch "Berlin wurde aus dem Kahn erbaut"

 

 9. Literatur

 [1] Benke, C.: Die Ziegelindustrie in Brandenburg im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, 1998 Magisterarbeit

 [2] Schulthes, C.: Elektrisch angetriebene Propeller,  STG Jahrbuch 9. Band, 1908

 [3] Holbach, G. u. a.: Batterieelektrische Antriebe für Binnenfrachtschiffe; STG Jahrbuch 107. Band, 2013

 

 

 

 

 

 

 

Abb. 8: Eine der Treidelloks vom  Teltowkanal, die im Berliner Technlik-museum ausgestellt ist (Foto Dr. Hochhaus)

 

 

 Abb.9.: Organistorische Verknüpfung der Akkumulato-renfabrik (Foto Dr. Hochhaus, aus der Jubiläumsschrift 50 Jahre AFA)