Kapitel  2

 Die  Dokumentation (1888 - 1897)

 

Hohe Bildung kann man dadurch beweisen, dass man die kompliziertesten Dinge auf einfache Art zu erläutern versteht.

 George Bernard Shaw  (26.07.1856 - 02.11.1950), irischer Dramatiker, Schriftsteller und Nobelpreisträger

 

 

 

 

 

 

 

 

Eingangsbereich des Hauptgebäudes der Technischen Hochschule Charlottenburg (Quelle TU Berlin)

Was sonst noch so in diesem Jahr 1888 geschah

 Weltgeschichte

 In Brasilien wird die Sklaverei vollständig aufgehoben.

 Deutsche Geschichte

 Aufrüstung in Deutschland.

 Dreikaiserjahr, 9.3. Kaiser Wilhelm I. stirbt 91-jährig. Ihm folgt sein 57-jähriger schwerkranker Sohn Friedrich III., der bereits nach 99 Tagen seinem Kehlkopfkrebsleiden erliegt. Am 15.6. folgt dessen 29-jähriger Sohn als Kaiser Wihelm II.

 

Technikgeschichte

 In England führt Dunlop luftgefüllte Reifen ein.

 In Deutschland wird der Wechselstromzähler von Schallenberger erfunden.

 Die erste brauchbare Trockenbatterie wird erfunden.

 Hertz entdeckt die Grundlagen der drahtlosen Telegraphie und des Rundfunks.

 George Eastman erfindet den Rollfilm-Photoapparat.

 Carl Zeiss stirbt in Jena.

 

 2.1 Besser spät als nie - die Gründungsurkunde wird 16 Jahre später geschrieben

 Quelle [1] weitgehend wörtlich übernommen, Zwischenüberschriften später eingefügt

 

Stiftungs-Urkunde

 des

 heiligen Ordens

 der Schiffbauer Latte

 zu

 Berlin.

 Verfasst im Jahre des Heils 1894, den

Gründern zur Erinnerung, den Aktiven

zur Erklärung und den Zukünftigen zur Ermunterung

 

Rückkehr des Kaisers nach dem Attentat

 Als seine Majestät, unser hochseliger Kaiser Wilhelm I nach dem schmachvollen Attentat am 02. Juni 1878 nach beinahe halbjähriger Abwesenheit gesund und geheilt in seine Haupt- und Residenzstadt Berlin am 05. Dezember desselben Jahres zurückzukehren geruhte, war es das lebhafteste Bedürfnis jedes Deutschen, Seiner Majestät durch einen möglichst feierlichen Empfang den Abscheu des ganzen Volkes vor jenem fluchwürdigen Tage zu beweisen. Vornehmlich bemühte sich die Berliner Studentenschaft, bestehend aus Studierenden der Universität, der Bau-, Berg-, Gewerbe- und Kunstakademie, in einer bis dahin wohl noch nie da gewesenen völligen Einmütigkeit ihrer Freude über dieses frohe Ereignis durch feierliche Spalierbildung Unter den Linden, durch einen Fackelzug von über 5.000 Fackeln, durch Feldkommerse und andere patriotische Kundgebungen einen möglichst großartigen Ausdruck zu verleihen.

 

Vertreter sämtlicher deutscher Hochschulen waren eingeladen und zu diesen zweitätigen Festlichkeiten erschienen. Der Erfolg war ein überwältigender und die Wogen der Begeisterung wollten sich nach Verlauf der Festtage bei den Studierenden des Schiffbaus der königlichen Gewerbeakademie nicht legen, so dass während der eifrigen Übungen in der Knoblematik, die am Tisch rechts in der Ecke der damaligen Schiffbauerfrühstückskneipe von Kahlberg, gegenüber dem Rathaus in der Königstraße stattfanden, eine weitere Fortsetzung dieser weihevollen Tage und Stunden mit Fug und Recht einmütiglich beschlossen wurde. Insgesamt zogen die Anwesenden zu den im Hintergebäude der Klosterstraße 36 zwei Treppen hoch gelegenen Schiffbauersälen, um dort noch eventuell traurig bei der Arbeit sitzende Kollegen an die Pflichten des festlichen Tages zu erinnern.

 

Drei Mann waren die ganze Beute, die sich in beiden Sälen vorfand und die sich willig ins Schlepptau nehmen ließ. Die Sonne lockte ins Freie und 16 vergnügte Studiosen nahmen Besitz von einem Pferdebahnwagen, in dem nur noch zwei jungen, selbstredend hübschen Damen Platz gewährt wurde, da sie marineblaue Schleier trugen. Der Kurs führte nach der Hasenheide, wo jeder auf einer besonderen Kegelbahn sich seinen Jammer auskegeln sollte.

 

 

 

 

 

 

1884 erfolgte der UMzug in die Arbeitssäle 210 und 211 der Technischen Hochschule Charlottenburg (Quelle TUB)

2.1.1 Gründung des Ordens 1878

 Doch Einsamkeit und Trennung war nie des Schiffbauers Sache, und bald saß im hinteren Zimmer der Unionsbrauerei die fröhliche Gesellschaft zusammen, um noch einen allerletzten Kaisertag durch Kommersieren zu feiern. Der Kneipe präsidierte der spätere erste Vorsitzende der Gewerbeakademie, Georg Brinkmann, während als Kontrepräside der Schreiber dieser Urkunde (Gräber) fungierte. Bald wuchs die Feststimmung immer höher, viel patriotische und kollegiale Reden wurden gehalten und noch mehr fidele Kommerslieder gesungen.

 

Wars unbestimmte Ahnung, wars dunkler Drang, wer vermag die Geistergewalten zu ergründen, - irgend ein Bierdimensionaler hatte den Kontrepräsidenten veranlasst, seine beste Straklatte aus dem Schiffbauersaal mitgehen zu heißen. Wie sie nun in den Händen des Kneipwarts zum Präsidenstab avanciert war, und vor seinen Augen im schönen Bogen auf und nieder tanzte, schlug er dem Präses vor, diese Latte zum ewigen Gedächtnis an die hehren Kaisertage an die Anwesenden zu verteilen. Dies als Zeichen einmütiger Zusammengehörigkeit und ewiger Freundschaft. Der Präses hieß seinen Vorschlag gut und vollzog in feierlicher Handlung die Verteilung sowie die damit erfolgende Gründung des Ordens der Schiffbauer Latte, in welchen alle Anwesenden aufgenommen wurden.

 

Die 16 Gründungsritter oder Lattenbrüder, wie sie sich nannten, waren folgende:

 1. Abraham,

 2. Brinkmann,

 3. von Bülow,

 4. Funk,

 5. Fuß,

6. Giese,

 7. Goecke,

 8. Graeber,

 9. Jahr,

 10. Lorenz,

 11. Nagel,

12. Protzen,

 13. Scheibel,

 14. Schwarz,

 15. Walter,

 16. Werner.

 

2.1.2 Erkennungszeichen Latte

 Der Ordensmeister oder sonst ein Kollegium von mindestens drei Rittern konnten neue Schiffbauer zu Rittern aufnehmen. Als äußeres Erkennungszeichen galt das Stück Latte, welches auf einem Spantenriss aufgeheftet war, wie nebenstehend angegeben ist, und welches bei Stiftungsfesten und anderen feierlichen Gelegenheiten im Knopfloch zu tragen war. Die Form jedes Spantrisses war den einzelnen freigestellt, und wählte jeder sich seinen Idealriss. Wer bei feierlichen Gelegenheiten diesen Orden nicht bei sich hatte, musste ein Faß Bier geben. Die Stiftungsfeste wurden monatlich gefeiert. Als Präsidenstab der Kneipe fungierte in Folge das Holzmodell eines Panzerbolzen.

 Als Zirkel wurde folgendes Zeichen festgesetzt:

 So geschehen am 07. Dezember des Jahres 1878.

 ***

 Kiel, im November 1894.

 Graeber, Marine-Bauinspektor

 

 Diese getreue Darstellung meines

 lieben Freundes Gräber bestätige ich in

 allen Punkten.

 Gez. Brinkmann

 Marine-Bauinspektor, 05.02.1895

 

Zirkel der Latte  (Quelle Latte)

Lattenkarriere

 Lattenbrüder wurden von Prüflingsanwärteraspiranten (PAA) nach der Erkennungskneipe zu Prüflingsanwärtern (PA), nach der Taufe zu Knappen, nach dem Vorexamen zu  Rittern und nach abgeschlossenem Studium zu Komturen. Ritter wurden gewählt zum Zeremonienmeister, Anrede „Exzellenz“, Kanzler, Anrede „Exzellenz“ oder Ordensmeister, Anrede „Herrlichkeit“. Verabschiedete Exzellenzen wurden mit  „Exexzellenz“ bzw. „Exherrlichkeit“ angeredet;

 

Humor

 Ein Student, der im Examen durchgefallen war, telegraphierte an seinen Bruder:

 "Nicht bestanden. Bereite Vater vor."
Der Bruder telegraphierte zurück: "Vater vorbereitet. Bereite dich vor."

 

 

 

 

 

 

Wintersemester 1892/93, die Schiffbaustudentenim Saal 216 (QuelleLatte)

2.1.3  Das sieht nicht aus wie ein Zirkel [1]

Das Wort Zirkel leitet sich vom lateinischen Wort circulus (Kreis) ab. Das Erkennungszeichen einer Studentenverbindung ist der Zirkel. Er wird etwa um 1750 verwendet, vorwiegend  bei den Orden und Corps. Dabei werden bedeutungsvolle Buchstaben so miteinander verschlungen, dass der Zirkel mit einem Zug, d. h. ohne Unterbrechung, geschrieben werden kann. Es sind Anfangsbuchstaben des Verbindungsnamen oder eines Leitspruchs. Dieser Leitspruch ist nicht immer mit dem Wahlspruch der Verbindung gleichzusetzen. Früher war es auch an manchen Hochschulen üblich, Zirkel zu verwenden, die aus den Anfangsbuchstaben des Hochschulnamens gebildet waren. Häufig findet man V – C – F für Vivant fratres coniuncti oder später Vivat – cresceat – floreat. „Es sollen die verbundenen Brüder leben“ oder „Sie soll leben wachsen und blühen“ oder „Ehre, Freiheit, Vaterland“ für die Buchstaben E – F - V. Später, ab 1820 erscheint außerdem ein Ausrufezeichen, dem jedoch keine eindeutige Bedeutung zuzuordnen ist. Einige Quellen deuten es als Zeichen einer schlagenden Verbindung, aber es gibt verschiedene andere Deutungen.

 

In den Aufzeichnungen der Berliner Latte finden sich keine Erklärungen zu dem Latte-Zirkel, der aus den schon oben erläuterten Buchstaben V - C  - F (und L) besteht. Das L steht für Latte und in der äußeren Form erkennen Eingeweihte sofort den Spantriss eines Schiffes, das einem Wappen ähnelt. Die oberen Inschriften „SEI`S PANIER“  und „LATTE“  sind als  Wahlspruch wie „die Latte ist unser Zeichen“ zu verstehen und entspricht auch den Texten der Gründungsurkunde.

 

Verwendung des Zirkels

Der Zirkel wird von Korporierten hinter die Unterschrift gesetzt, wenn sie diese in "Korporations-Angelegenheiten" leisten. Bei Zugehörigkeit zu mehreren Verbindungen werden diese Zirkel in Beitrittsreihenfolge hinter die Unterschrift hinzugefügt.  Mit Führungspositionen betraute Personen der Verbindung, so genannte Chargierte, können das Kurzzeichen der ausgeübten Charge hinter den Zirkel schreiben. Der Erstchargierte (Senior, Sprecher) setzte ein x (Kreuz) hinter den Zirkel, der Zweitchargierte (Consenior, Sprecherstellvertreter, Fechtwart) ein xx und der Drittchargierte (Subsenior, Schriftwart) ein xxx. Unter bestimmten Umständen können diese als Ehrung auch nach der erfolgreichen Durchführung der Charge dauerhaft "geklammert" geführt werden.

 

Nur diese Kurzzeichen finden wir (allerdings umgekehrt) auch bei der Latte wieder, der Ordensmeister setzte hinter seine Unterschrift drei xxx in je einem den Hauptspant darstellenden Kreis, der Kanzler xx und der Zeremon x. Nach beendeter Amtszeit wurden die Zeichen in Klammern gesetzt. Die Umkehrung ist, wie auch an anderen Stellen als Veralberung zu verstehen.

 

Die Titel „Seine Herrlichkeit“  für Ordensmeister „Ihre Excellenzen“ für den Kanzler und Zeremon wurden erst 1887 eingeführt. Gemeinsam bildeten sie das „Ordenskapitularium“ abgekürzt OK. Nach der Amtszeit wurde ebenso ein Ex vor die Titel gesetzt.

 

 

 

 

 

 

 

 

Zirkel und Schriftzug der Latte Berlin (Quelle Latte)

2.1.4 Studentengemeinschaften vor 1900

 K.-H. Hochhaus [2, 3]

 In dem Zeitraum von 1879 bis 1900 hat sich die Zahl der Studenten an der Technischen Hochschule Charlottenburg von 1500 auf rund 4500 mehr als verdreifacht. Bereits vorher, seit 1867 an der Gewerbeakademie, seit 1869 an der Bauakademie gab es "Ausschüsse von Studierenden", die fächerübergreifend versuchten, für die gesamte Studentenschaft tätig zu werden. Die Mitgliedschaft war freiwillig und erst 1920 wurde Vergleichbares in einer öffentlich-rechtlichen Zwangsmitgliedschaft aller Studenten eingeführt. Vorher und nachher waren die Studenten freiwillig und ihren Neigungen entsprechend in unterschiedlichen studentischen Vereinigungen organisiert, deren Aktivitäten weitgehend auf die Zeit des Studiums an der Hochschule beschränkt waren.

 
So spielte die „Vereinigung Studierender an der Königlichen Technischen Hochschule zu Berlin" mit ihrem "Krankenverein" eine wichtige Rolle. Die Mitgliedschaft in der Vereinigung war freiwillig und wurde durch die Zahlung eines Beitrages für eine "Erkennungskarte" erworben. In einer Mitgliederersammlung wurde von dem geschäftsführenden Studentenausschuss Rechenschaft abgelegt und er wurde entlastet. Dann  beriefen die Mitglieder wieder einen 12-köpfigen Studentenausschuss für ein Jahr. Dieser Ausschuss führt aus, was von der Mitgliederversammlung beschlossen wurde. Er handelte weitgehend selbständig, führte die Geschäfte des Krankenvereins der Studierenden und sorgte für die Gesamtorganisation. Vergleichbar, jedoch nicht so umfassend, waren auch die anderen Studentengemeinschaften organisiert. Ab 1904 hat diese Aufgabe an der Technischen Hochschule die "Akademischen Krankenkasse" übernommen, zu deren Mitgliedschaft die Studenten verpflichtet wurden.

 

Die an der Technischen Hochschule Charlottenburg aktiven akademischen Vereine lassen sich untergliedern in verschiedene Orientierungen wie:

Fachliche Orientierung: „Hütte“ der Eisenhüttenstudenten,  „Motiv“  der Architekturstudenten, Elektrotechnischer Verein, Akademischer Maschinenbauerverein und Schiffbauervereinigung „Latte“

Hobby, Freizeit: Rudervereine, Seglerclubs, Akademischer Turnerbund, Akademische Liedertafel oder

konfessionelle Vereine, Traditionsvereine und andere

wie Akademischer Stenographenverein oder Verein Charlottenburger Studierender

 

Ähnlich wie bei der Latte waren und sind die Vereine, Orden oder Verbindungen wie eine Genossenschaft Einrichtungen auf Gegenseitigkeit. Die älteren erfahrenen Studenten helfen den neuen und meist jüngeren Studenten bei der Einführung in das Studium, beim Lösen der Übungsaufgaben, Ausleihen von Büchern und Sammeln von Klausuraufgaben. Da beim Studium oft ein Ortswechsel erfolgt war, brauchten die Neuen Hilfe bei der Zimmersuche, Nahrungsbeschaffung und vielen anderen Dingen des täglichen Lebens.

 

Bezogen auf das Studium waren Hilfsmittel nötig, neben Büchern, Zeichentische oder auch Zeichenmaschinen, die der einzelne nur zeitweise benötigte und dafür war in seinem Zimmer auch kein Platz. Daher gab es Zeichensäle, deren Plätze von der Hochschule oder seltener von den Studenten verwaltetet wurden. Diese Zeichentische, bei den Schiffbauern in Anlehnung an die Fachsprache „Backs“ genannt, waren bei den Schiffbauern besonders groß, vorwiegend um die Schiffslinien der Schiffsform in einem vernünftigen Maßstab darzustellen.

 

 

 

 

 

Schinkels Bauakademie, Stahlstichvon E. Mandel aus dem Jahr 1853

2.1.5 Der Orden, ein Geheimbund?

 Die Latte hat Neugierde erweckt, wie der folgende teilweise unrichtige Ausschnitt beschreibt [3, 11]:

 

…. Alle Arten, fast möchten wir sagen: Archetypen der Geheimbünde münden in die Gegenwart herauf und haben auch heute noch die Kraft, aus alten Vorbildern neue Formen zu entwickeln. Um in Deutschland zu bleiben und mit dem Harmlosesten zu beginnen, nennen wir als heimisches Beispiel den „Orden der Frau Latte", auch  „Orden der heiligen Frau Latte" genannt, der im Jahre 1878 in einer Berliner Schiffbauer-Frühstücksstube in der Königstraße gegründet wurde. Der Orden organisiert den Boykott von Vorlesungen, hat ein so genanntes Kupfer-Archiv, in dem über Prüfungsfragen Buch geführt wird, und eine für Studierende schlechthin unentbehrliche Sammlung teurer technischer Behelfe, die so gut wie alle Schiffbaustudenten nötigt, dem Orden beizutreten.

 

Im „Orden der heiligen Frau Latte" haben wir eine Organisation vor uns, die zum Unterschied von den Burschenschaften eine bestimmte Studienrichtung voraussetzt, das Studium selbst und die Erreichung des Studienziels (wenn auch nicht immer mit erlaubten Mitteln) unterstützt und bestimmte Gruppen von Studierenden von der gemeinsamen Arbeit ausschließt. Die Annahme liegt nicht fern, dass zwischen den Lattenbrüdern gewisse Bindungen auch dann noch aufrecht bleiben, wenn sie als absolvierte Schiffbauer in das Leben heraustreten und in ihrem Beruf tätig sind……

 

Chronik historische Entwicklung der Lehre und der Latte

 1894 Gründungsurkunde der Latten wird erstellt

 1894 Drei Ritter dürfen neue Mitglieder aufnehmen

 1897 Technische Hochschule wird aus der Gewerbe- und Bauakademie gebildet

 

2.2 Lehre am Königlichen Gewerbeinstitut von 1861 - 1878 [1, 3]  

 …Das Gewerbeinstitut (1866 umbenannt in Gewerbeakademie), geleitet von auf Lebenszeit ernannten Direktoren, bis 1868 Rottebohm, dann bis 1878 Reuleaux bestand 1861 aus zwei Abteilungen mit zusammen 419 Studierenden. Dies waren eine allgemeine technische und eine Abteilung für Mechaniker, für Chemiker und Hüttenleute, sowie für Schiffbauer. Der Lehrkursus umfasste sechs Halbjahre. Elbertzhagen lehrte Schiffbaukunst und Koch unterrichtete, ebenfalls nebenamtlich, in Schiffszeichnen, sowie in Schiffentwerfen und Berechnen. Außerdem wurden Mathematik, Physik, Chemie, Zeichnen, Mechanik (Großmann bis 1884), beschreibende Maschinenlehre (Hörmann), Maschinen-Elemente (Reuleaux), allgemeine Baukonstruktionslehre, allgemeine theoretische Maschinenlehre, Kraftmaschinen (Wiebe), mechanische Technologie (Fink) und Kinematik gelehrt.

 

Im Herbst 1873 ist der Admiralitätsrat Brix an Stelle von Elbertzhagen getreten, und 1874 ist der Unterricht so geteilt worden, dass Koch Schiffbaukunst (Theorie, von den Dampfschiffen, schwingende Bewegungen der Schiffe, Widerstand, Steuer, Segel) lehrte, während Brix Schiffbaukunde (Schiffzeichnen, Konstruktion sowie Bau hölzerner und eiserner Schiffe, einschließlich der Panzerschiffe und der nach gemischtem System gebauten, ferner Rundhölzer, Veranschlagungen) vortrug. Neu hinzu kam der aus dem Marine-Frontdienst übernommene Marine-Maschinen-Ingenieur Schwarz-Flemming für Schiffskessel, Schiffsmaschinen und Hilfsmaschinen.

 

Der Unterricht in Mathematik erstreckte sich bis auf elliptische Integrale und totale Differenzialgleichungen, Eisenhüttenkunde (Wedding) kam als neues Unterrichtsfach dazu. Das „Programm“ für 1875/76 brachte eine ausführliche Inhaltsangabe der einzelnen Lehrfächer. Koch hat danach u. a. über die Theorie des Antriebes durch Segel, Räder und Schrauben, sowie über die Theorie des Steuerns vorgetragen. Brix hat Ablauf, Docks, Werkstoff, Kostenanschläge und Bootsbau gelehrt und Schwarz-Flemmings Vorlesungen  betrafen das Entwerfen von Maschinenanlagen für Kriegs- und für Handelsschiffe.

 

 

 

Links : Hüllmann lehrte Einrichtung der Kriegsschiffe und Kriegsschiffbau.

 

Rechts: Krezschmer lehrte Einrichtung Einrichtung der Kriegsschiffe

2.2.1 Die Preußische Admiralität hat großen Einfluß

Angekommen in Berlin stützte sich der Unterricht auf die preußische Admiralität, welche ihre ersten Kräfte, den altbewährten Praktiker Elbertzhagen und den jungen, hervorragend begabten, aufstrebenden Ingenieur Koch nebenamtlich zur Verfügung stellte. Das war das Beste, über das Preußen verfügte. Zu jener Zeit der Holzschiffe war der Kriegsschiffbau nach jeder Richtung hin führend im Schiffbau, und der Handelsschiffbau folgte in seinem Fahrwasser. Der Unterricht im Kriegsschiffbau sollte aber seinen Sitz dort haben, wo alle Fäden der Landesverteidigung zusammenliefen. Es ist deshalb anzunehmen, dass in erster Linie die preußische Admiralität gedrängt hat, den Unterricht in Berlin zu erteilen. Ihr Einfluss sollte entscheidend sein, weil Kriegs- und Handelsschiffe sich im Aufbau damals nur unwesentlich unterschieden. Jedenfalls ist zu dieser Zeit von einem Unterricht im Handelsschiffbau nirgends die Rede.

 

Der Umstand, daß der Unterricht im Kriegsschiffbau erfolgreich nur in Anlehnung und in enger vertraulicher Verbindung mit der Marineleitung gelehrt werden kann, ist im wesentlichen auch der Grund, daß die geplante Verlegung des Schiffbaus von Berlin an die Küste anfangs scheiterte.  Dies wurde vor der Jahrhundertwende notwendig, da die Räume der Hochschule den Massenandrang der Studierenden nicht mehr fassen konnten. An der geplanten Danziger Hochschule war eine Abteilung für Schiffbau vorgesehen, die sich jedoch anfangs an dem entschiedenen Widerstand der Marineleitung nicht durchsetzen ließ.

 

2.2.2 Trennung von Schiffbau und Schiffsmaschinenbau (1877/79)

Die 1877/78 im Anschlusse an das Verzeichnis der Vorlesungen aufgeführten „Studienpläne“, statt der bisherigen „Stundenpläne“, sehen für alle Fachrichtungen vier Jahreskurse vor und bringen zum ersten Male eine Trennung in Schiffbau- und Schiffsmaschinen-Ingenieure. Die Lehrpläne sind aber nur in unwesentlichen Nebenfächern verschieden. Neu aufgeführt ist der Ingenieur Dietrich mit Entwerfen von Schiffen und ferner das Lehrgebiet Konstruktion der Kriegsschiffsmaschinen, für das ein Lehrer jedoch nicht angegeben ist. Das Programm enthält weiter die Diplom-Prüfungs-Ordnung von 1873, sowie die für 1877 gestellten Diplom-Aufgaben für Schiffbau- und für Schiffsmaschinen-Ingenieure. 

 

2.2.3 Von der Bauakademie zur Königlichen Technischen Hochschule  (1799 - 1879)   [1, 3, 4, 6]

Die Königliche Technische Hochschule Charlottenburg wurde 1876 von der Regierung beschlossen und nach längeren Vorplanungen 1879 gegründet. Sie entstand durch den Zusammenschluß der 1799 gegründeten Königlichen Bauakademie und der Königlichen Gewerbeakademie. Die Bauakademie war eine höhere Lehranstalt zur Ausbildung für den Staatsdienst, es wurde schulischer Unterricht durchgeführt ohne Forschungsauftrag. Der Staatsdienst war um diese Zeit höher angesehen als Tätigkeiten in der privaten Wirtschaft, daher waren die Aufnahmebedingungen schärfer und die Abschlüsse höherwertig im Vergleich zur Berg- oder Gewerbeakademie.

 

Die Königliche Gewerbeschule entstand 1821 und wurde von Preußen zur Förderung des privaten Gewerbes geplant, um die Industrialisierung zu unterstützen. Das war sehr weitsichtig, da hiermit eine kräftige Saat für die spätere schnelle Industrialisierung gelegt wurde, denn bisher gab es wenig anspruchsvolle Lehranstalten für das Gewerbe und die Industrie. Die Schule wurde 1828 in Königliches Gewerbeinstitut umbenannt, eine Zeit in der die Industrie in Deutschland noch sehr zögerlich gedieh. Die Absolventen hatten eine hohe Qualifikation und konnten auch daher die Industrialisierung gezielt vorantreiben. Ab 1850 spricht man in Deutschland von der industriellen Revolution und gut qualifizierte Techniker wurden überall gebraucht. 1866 erfolgte die Umbenennung in Königliche Gewerbeakademie.

 

Die Technische Hochschule entsteht in Charlottenburg

1884 war das in Charlottenburg errichtete Hochschulgebäude fertig, denn in Berlin gab es kein ausreichend großes Baugrundstück. Charlottenburg war bis zur Bildung der Großgemeinde Berlin 1920 eine selbstständige Stadt und daher rührte auch der Name „Technische Hochschule Charlottenburg“, der weltweit bald einen vorzüglichen Klang genoss. Bei der glanzvollen Eröffnung in Anwesenheit des Kaisers am 2. 11. 1884 wurden die riesigen Abmessungen auch für Außenstehende sichtbar. Daher wurde sie auch scherzhaft Technikumpolis getauft [3], da das Hauptgebäude nach dem Kölner Dom das mächtigste Gebäude Berlins und Preußens war. An beiden Einrichtungen waren 1878/79 rund 1.500 Studenten eingeschrieben, rund 900 an der Bauakademie und rund 600 an der Gewerbeakademie. Die Studentenzahlen sanken aufgrund nachlassender Konjunktur bis 1884 auf rund 890 und stiegen dann bis 1901/02 auf 4.800 an. Damit waren hier rund 25% aller Studenten im Deutschen Reich mit insgesamt 9 Technischen Hochschulen eingeschrieben.

 Labore ermöglichen praxisorientierte Lehre und Forschung (1895/96)

 Die Ausbildung an der Technischen Hochschule Charlottenburg war vorwiegend theoretisch. Die Professoren hielten die Vorlesungen und Übungen, die Assistenten wurden wenig in der Lehre, vorwiegend in der Forschung eingesetzt. Für praktische Unterweisungen entstanden Laboratorien zuerst bei der Chemie- und dann bei der E-Technik. 1895/96 wurde ein Maschinenlaboratorium eingerichtet, das anfangs vorwiegend für die Lehre, dann schnell zunehmend für die Forschung verwendet wurde. Damit wurde eine erhebliche Verbesserung der  Lehre und eigenständigen Forschung vollzogen und mit dem weiteren Ausbau erhöhte sich auch die Forschungskompetenz. Viele für die Industrie wertvollen Forschungsarbeiten konnten damit durchgeführt werden, ermöglichten der Hochschule einen stärkeren Praxisbezug und der Industrie andererseits einen Einfluß auf die Forschungsarbeiten. Einen weiteren wichtigen Schub in Richtung Forschung ergab sich durch das 1899 vom Kaiser erteilte Promotionsrecht, denn jetzt wurden von den Doktoranden extrem anspruchsvolle Aufgabenstellungen theoretisch untersucht und anschließend praktisch an den Versuchsanlagen im Labor bewiesen. Die bisher schon gute Zusammenarbeit mit der Industrie wurde damit verbessert und brachte neben wissenschaftlichen Erkenntnissen und wachsenden Praxisbezug zusätzliche Einnahmen und Anerkennung.

 

Die alte Nordfront des TU-Hauptgebäudes, die im 2. Weltkrieg schwer beschädigt wurde und in den 1960ger Jahren duch eine moderne Fassade erneuert wurde

 

2.2.4 Der Anschluss der Bergakademie erfolgt 1916 [1, 3, 4, 6]

 

Spät, erst 1916 wurde auch die Bergakademie an die Technische Hochschule Charlottenburg angeschlossen. Sie wurde 1770 vor dem Hintergrund, streng getrennter Ausbildung für den technischen Staats- und Militärdienst  im zivilen Bereich in Berlin als „Berg- und hüttenmännisches Lehrinstitut“ gegründet und 1777 zur Bergakademie ernannt. Die Zahl der Studenten der Abteilung bzw. Fakultät Bergbau lag um rund 120, rund 5 % der Studenten, erhöhte sich bis 1925 auf gut 300 (10 %) und reduzierte sich bis 1939 auf rund 75, rund 2,5 % der Studenten. Die Studienrichtungen Schiff- und Schiffsmaschinenbau gehörten zur Abteilung/Fakultät Maschineningenieurwesen, wurden 1896 eigenständig und hatten ab 1896 einen Anteil an den eingeschriebenen Studenten von fast 7 %, der sich bis 1906 auf 12,5 %  erhöhte und 1926 auf unter 5 % sank. 1937 war mit rund 15 % das Spitzenjahr. Den größten Anteil der Studenten an der Technischen Hochschule Charlottenburg hatte das Maschineningenieurwesen mit anfangs (1883) rund 40 % ansteigend um 1925 auf fast 60 % und bis 1939 abfallend auf rund 30 % aller Studenten. Die Zusammenlegung der Königlichen  Bauakademie und der Königlichen Gewerbeakademie schuf 1879 eine bisher einmalige Konzentration von technischen Kompetenz, die 1884 durch den Einzug in den modernen und großzügigen Neubau an der Berliner Strasse (heute Strasse des 17. Juni) noch erhöht wurde.

 

2.2.5 Reaktion des Auslands auf die Technische Hochschule Charlottenburg [3]  

 Die Art der Lehre, die vierjährige Regelstudienzeit, die schnell wachsende  Zahl der Studenten erregten auch die Neugier des Auslandes, besonders von England. Die Londoner Weltausstellung 1851, die als Schaufenster der Technik galt, hatte  erstmals Erfolge der deutschen Technologie gezeigt. Andere Ausstellungen und technische Veröffentlichungen hatten den raschen Aufstieg der deutschen Industrie und Technologien verdeutlicht. Dies wurde in England besonders dem britischen Bildungsrückstand angekreidet und in Folge wurden neue technische Lehrstühle in Glasgow, Edingburgh, Newcastle-on-Tyne, Dublin und Belfast eingerichtet.  Der Name „Charlottenburg“ erhielt einen heute kaum noch vorstellbaren Glanz, ja er wurde zu einem Begriff, wie folgendes Zitat eines Leserbriefes an die Technik-Beilage der „Times“ von 1905 verdeutlicht [3]:

 

"Manche unserer Leser haben über die großartigen Bauten, Einrichtungen und Dozenten der Berliner Hochschule gelesen…...; einige haben sie auch selbst besichtigt. Sie haben vom Niedergang der britischen und vom Blühen der deutschen Industrie gelesen. Sie haben davon gelesen, dass deutsche Unternehmen des Maschinenbaus und der chemischen Industrie Doktoren und Diplom-Ingenieure zu Dutzenden einstellen, englische Unternehmen dagegen einen einzelnen. Daraus ziehen sie den Schluss, dass alles, was dieses Land brauche, ein Charlottenburg sei"

 

Diese Meinung wurde von sachkundigen und einflussreichen Männern des öffentlichen Lebens geteilt, darunter der Duke of Devonshire (1870 - 1875 Vorsitzender einer Regierungskommission zur Förderung naturwissenschaftlicher Lehre und Forschung), von

 

Lord Roseberry (liberaler Ex-Außen- und Premierminister, Kanzler der Universität London), von R. B. Haldane (liberales Mitglied des Oberhauses, Vorsitzender der 1905 gegründeten "British Science Guild" und später Kriegsminister) und von Sidney Webb (Mitbegründer der sozialistischen "Fabian Society" und Vorsitzender einer Studienkommission des London County Council zur Frage des Verhältnisses von Wissenschaft und Industrie) Webbs Kommission sammelte vor allem Material aus Deutschland  und Haldane hatte sich in Berlin selbst sachkundig gemacht [3].

 

 Die Zahl von 2.000 Studenten an der Technischen Hochschule Charlottenburg gegenüber 600 an vergleichbaren technischen Colleges in London Anfang der 90ger Jahre zeigt anschaulich, warum Deutschland so schnell die Industrialisierung bewältigte und in der Chemie und Schiffbau Spitzenstellungen erreichte. 1897 errang erstmals ein deutsches Schiff das  „Blaue Band“ und die Steinkohlenindustrie hatte die bisher führende britische Chemie-Industrie überflügelt. Aber auch in der Elektrotechnik, Kältetechnik, Metallurgie und im Bau von Messgeräten wurden in kurzer Zeit beachtliche Erfolge erzielt, die vorwiegend der beispielhaften wissenschaftlichen Ingenieurausbildung zugeschrieben wurde. Die Ausbildung, ein Jahr Vorpraktikum, 4 Jahre Studium, wurde vom Ausland jedoch in der Regel als zu lang angesehen. Das an der TH Charlottenburg um 1900 allein 400 Studenten für Schiff- und Schiffsmaschinebau eingeschrieben waren, führte dazu, dass britische Experten auf den Ausbau vergleichbarer Lehrstühle in Großbritannien drängten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Plakat von Sütterlin zur Gewerbeausstellung in Berlin

 

 

 

 

 

Technische Hochschule Charlottenburg mit von Pferden geprägtem Straßenverkehr in der Charlottenburger Allee

2.3 Lehrer die in dem Zeitraum 1888 bis 1897 begannen

 1889-92         Schmidt, A. (Diplomierter Schiffbau-Ingenieur), Theorie. Zeichnen und Entwerfen von Schiffen

 1892-27         Flamm, O. (Geh. Regierungsrat, Dr.-Ing. e. h., Professor, Ehrenbürger der Technischen Hochschule, 1906 - 07  Rektor) Theorie, Zeichnen und Entwerfen von Handelsschiffen, Fluß-Schiffbau)

 1896-97         Hüllmann, H. (Geh. Oberbaurat, Dr.-Ing., Prof. und Ehrenbürger der Techn.

 1913-26         Hochschule, Einrichtung der Kriegsschiffe, Kriegsschiffbau

 1897-13         Kretschmer, O. (Geh. Marine-Baurat), Einrichtung der Kriegsschiffe

 1899-02         Brinkmann, G. (Wirkl. Geh. Oberbaurat), Konstruktion der Kriegsschiffe

 

Flamm, Schiffbau (1861 - 1935) [1,  4, 6]

 Auf den nur drei Jahre lang als Dozent an der Hochschule tätig gewesenen, diplomierten Schiffbau-Ingenieur U. Schmidt folgte 1892 Flamm. Oswald Flamm, im Jahre 1861 geboren, hat in Berlin Schiffbau und Schiffsmaschinenbau studiert und 1888 für beide Fachrichtungen das Diplom erhalten. Nach einer vierjährigen Werfttätigkeit bei Berninghaus in Duisburg, Joseph L. Meyer in Papenburg und bei Blohm & Voß in Hamburg wurde er bereits mit 31 Jahren als Dozent mit der Wahrnehmung des Lehrstuhls für Schiffbau an der Technischen Hochschule Berlin betraut. Nach zweijähriger Lehrtätigkeit wurde er zum Professor und im Jahre 1897 zum Ordinarius für den Lehrstuhl für „Theorie und Entwerfen von Schiffen“ ernannt. Insgesamt 43 Jahre hat Geheimrat Flamm an der Technischen Hochschule als Lehrer und Forscher gewirkt. Mehr als ein Menschenalter hindurch hat er Zeichnen und Entwerfen von Schiffen, sowie Theorie gelehrt, und bis zur Gründung der Danziger Hochschule im Jahre 1904 sind wohl alle deutschen Schiffbau-Diplom-Ingenieure durch seine Hände gegangen.

 

Hauptgegenstand seiner Forschungstätigkeit waren die Untersuchung der Wirkung von Schraubenpropellern, die Stabilität des Schiffes und die Konstruktion von U-Booten. Sehr frühzeitig hatte er die Bedeutung des Schiffbau-Versuchswesens erkannt und sich für den Bau einer Schiffbau-Versuchsanstalt in Berlin eingesetzt. Größtenteils auf sein Betreiben hin wurde im Jahre 1902 der Bau der Versuchsanstalt auf der Schleuseninsel im Tiergarten durchgeführt. Bald nach der Gründung der Fachzeitschrift "Schiffbau, Schiffahrt und Hafenbau" hat er deren Schriftleitung übernommen. Seinen Studenten, die mit Verehrung an ihm hingen, war er nicht nur der Lehrer, dessen Vorlesungen gern besucht wurden, sondern darüber hinaus Freund und Kamerad. Geheimrat Flamm galt als eine der markantesten Persönlichkeiten des deutschen Schiffbaus. Er war Mitbegründer der Schiffbautechnischen Gesellschaft und des Deutschen Flottenvereins.

 

Hüllmann, Schiffbau (1861 - 1937) [1,  4, 6]

 Hüllmann studierte nach Abitur, Wehrpflicht und Werftpraktikum von 1883 - 1887 an der Technischen Hochschule Charlottenburg und erhielt für  die Diplomprüfung die silbernen Preismedaille. Er trat in die Marine ein und wurde bald als Marine-Schiffbaumeister auf  der Kaiserlichen Werft Wilhelmshaven eingesetzt. Weitere Stationen waren 1894 das Reichsmarineamt in Berlin, wo er nebenamtlich mit dem Unterricht über die Einrichtung von Kriegsschiffen an der Technischen Hochschule zu Charlottenburg betraut war und 1897 die Kaiserlichen Werft in Kiel, wo er 1899 Schiffbaudirektor wurde.

 

1906 wurde er erneut ins Reichsmarineamt berufen und am 27. Mai 1907 zum Geheimen Oberbaurat und Abteilungsvorstand im Konstruktionsdepartement ernannt. Jetzt übernahm er bis 1913 Rudloffs Aufgaben als Chefkonstrukteur, der an die Technische Hochschule Charlottenburg berufen wurde. Dies war die Zeit der Umsetzung des Flottenbauprogramms, daher wurden an Hüllmann hohe Anforderungen gestellt, um dieses anspruchsvolle Programm zu realisieren und technische Neuerungen (Turbinenantrieb, Funk, Kreiselkompass) zu integrieren.

 

1913 erhielt Hüllmann einen Ruf als ordentlicher Professor für Kriegsschiffbau an die Technische Hochschule Charlottenburg und nahm am 28. Juni 1913 seinen Abschied von der Marine. Aufgrund seiner Verdienste wurde ihm 1913 von der Technischen Hochschule Danzig der Titel Dr.-Ing. Ehren halber verliehen Am 15. Juli 1913 wurde er zum Professor ernannt, bekleidete von Herbst 1917 bis 1918 das Amt des Rektors der Hochschule und ließ sich am 20. April 1926 emeritieren.  Hüllmann starb am 20. Oktober 1937.

 

 

 

 

 

 

Flamm lehrte Entwerfen von Handelsschiffen (foto STG)

 

 

 

 

 

Hüllmann lehrte Kriegsschiffbau

Otto Kretschmer, Kriegsschiffbau (1849 - 1916 ) [1,  4,  6]

Nach dem Besuch der Oberrealschule und Absolvierung der Gewerbeschule arbeitete er ein Jahr praktisch in Kiel. Im Jahre 1867 besuchte er sechs Semester die Gewerbe-Akademie in Berlin bis zum Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges im Jahr 1870. Er absolvierte seine einjährige Dienstpflicht bei der I. Werft-Division in Kiel. Nach dem Krieg war er bei der Norddeutschen Schiffbau-Aktiengesellschaft in Gaarden bei Kiel bis zum Jahre 1875 als Ingenieur tätig. Schiffahrtserfahrungen sammelte er bei der Ost-Afrika-Linie und der Hamburg-Amerika-Linie. Letztere sandte ihn nach St. Thomas in der Karibik, um den Ausbau der Reederei-Niederlassung zu unterstützen. Nach Beendigung dieser Arbeiten kam er im Jahre 1876 nach Berlin zurück und legte das inzwischen eingeführte Diplom-Examen ab. Er trat dann als Ingenieur-Aspirant bei der Marine ein, arbeitete zeitweise bei Friedr. Krupp in Essen und trat später wieder in die Marine ein.

 

1897 begann er als Professor für praktischen Schiffbau an der Technischen Hochschule in Charlottenburg zu lehren. Im Jahre 1916 übernahm während des 1. Weltkrieges wieder eine Betriebsdirektoren-SteIle auf der Reichswerft in Kiel und ist hier 1916  verstorben.

 2.4 Das Maritime Umfeld

 2.4.1 Das Reichsmarineamt im Deutschen Kaiserreich

 Das Reichsmarineamt entstand 1889 aus der Kaiserlichen Admiralität und war eine Reichsbehörde. Sie wurde von  einem Staatssekretär geleitet, der direkt dem Reichskanzler unterstand. Heusner war der erste und Tirpitz der bekannteste Staatssekretär im Reichsmarineamt, das die Funktion eines Ministeriums hatte und für die Kaiserliche Marine zuständig war.

 

Die Länder waren  für die Landstreitkräfte und das Reich für  die Marine zuständig. Es gab daher im Deutschen Kaiserreich mehrere Armeen, aber eine Kaiserliche Marine. Die operative Führung der Kaiserlichen Marine oblag dem Oberkommando, später dem Chef der Hochseeflotte, den Stationskommandos und anderen selbständigen Verbänden wie dem Ostasiengeschwader. Sie stand unter dem direkten Oberbefehl des Kaisers. Die Aufgaben des Reichsmarineamts waren vorwiegend administrativer Art. Die Admiralität übernahm nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wieder die Aufgaben des Reichsmarineamts.

 

 

 

 

 

 

 

Rauchrohrkessel mit drei Flammrohren vor dem Einbau

2.4.2 Gründungsjahre von Reedereien 1888 - 1897 [5]

 1888 Hafen-Dampfschiffahrt AG, Hamburg

 1889 Aktien-Gesellschaft "Ems", Emden

 1889 Bugsier-, Reederei- und Bergungs-Aktiengesellschaft, Hamburg

 1889 Deutsche Levante-Linie, Hamburg

 1890 Deutsche Ost-Afrika Linie, Hamburg

 1890 Koehn & Bohlmann, Reederei Kommanditgesellschaft, Hamburg

 1890 Otto A. Müller, Hamburg

 1890 Unterweser Reederei GmbH, Bremen

 1892 Heinrich Schmidt Reederei, Flensburg

 1893 Ernst Russ, Hamburg

 1896 Argo Reederei, Richard Adler & Söhne, Bremen

 1897 Westfälische Transport-Aktien-Gesellschaft, Dortmund

 

2.4.3 Gründungsjahre von Werften  1888 - 1897 [5]

 1889 Ernst Menzer, Hamburg

 1890 Julius Grube, Hamburg

 1892 Gebr. Luwen, Duisburg

 1892 Christof Ruthof GmbH, Regensburg

 1894 Yachtwerft Kriegermann GmbH, Berlin

 1895 Staatswerft Rendsburg-Saatsee,Rendsburg

 1897 August Pahl, Hamburg

 

 

 

 

Tecklenborgwerft in Bremerhaven mit Helgen und Werkstätten um 1900

2.4.4  KAISER WILHELM DER GROSSE Dampf für 37.000 PS [9]

 Der 1897 beim Stettiner Vulcan gebaute und in Dienst gestellte Schnelldampfer KAISER WILHELM DER GROSSE war seinerzeit der größte Dampfer der Welt und der erste Vierschornsteiner, er leitete mit der Erringung des Blauen Bandes 1897 auf dem Atlantik das Jahrzehnt der Deutschen ein. Mit dem Bau dieses Schiffes ist der Name Louis Schwarz als Chef des Konstruktionsbüros verbunden. Louis Schwarz war einer der Gründungsritter der Latte und war auch am Bau des IMPERATORS maßgeblich beteiligt .

 

Damit dieses gewaltige Schiff aus Stahl und Eisen sich in Bewegung setzten konnte, benötigten die zwei riesigen Dampfmaschinen mit insgesamt 37.000 PS Dampf, viel Dampf, der durch die Verbrennung von riesigen  Kohlemengen erzeugt wurde. Jede Wache, d. h. alle vier Stunden, zogen 50 Heizer und Trimmer in den Kesselraum, vier Stunden standen die Heizer vor den 14 Kesseln mit den insgesamt 104 Feuern und verrichteten in der Gluthitze Schwerstarbeit mit der Schaufel zum Reinschleudern der Kohle, mit der Schleuße (Schüreisen) zum Aufbrechen der Feuer und den Krücken zum Schlackeziehen und Reinigen der Roste. Die Kohlentrimmer schafften derweil mit der Kohlenschaufel und Schubkarre die Kohlen heran. Fast 30 Zentner Kohlen wurden so von jedem Heizer verfeuert, bis er von der nächsten Wache abgelöst wurde.

 

Preise

 Um 1888 kostete ein Laib Brot 5  Pfennig, ein Liter Milch 5 Pfennig, ein Kilogramm Schweinefleisch 17 Pfennig  und eine billige Übernachtung 90 Pfennig.

 

Eine  kWh kostete 80 Pfg, ein erfahrener Facharbeiter verdienet etwa 40 Pfg pro Stunde, ein ungelernter Arbeiter etwa die Hälfte

 

Das Schiff "Kaiser Wilhelm der Große" gewann 1897 das "Blae Band". Chefkonstrukteur war L. Schwarz, Gründungsmitglied der Latte