Die Latte

Geschichte einer Studentengemeinschaft oder ein maritimes Lesebuch in 13 Kapiteln

 

Kapitel 1

Zusammengestellt von Karl-Heinz Hochhaus, Jürgen Wessel sowie Burkhard Müller-Graf mit Beiträgen von Fritz Berg, Michael vom Baur, Johannes Beutel, Wolfgang Faller, Katja Jacobsen, Ohm Krüger, Horst Nowacki, Jörg Redlin, Michael Schmiechen, Klaus Schröder, Claudia Schuster, Klaas Spethmann, Fritz Horn, Betzold, Wolfgang Walter, und anderen, die zum Teil ungenannt bleiben wollten.

 

Das Literaturverzeichnis befindet sich am Ende von Kapitel 1 und Kapitel 13

 

 Abbildung 1: Das Hauptgebäude der Königlich Technischen  Hochschule wurde an der damaligen Berliner Strasse, der heutigen Strasse des 17. Juni, nach dem Entwurf  von Richard Lucae erbaut und 1884 eingeweiht (Quelle TUB).

 

 

 

Burkhard Müller Graf und Jürgen Wessel taufen die Ordensmeisterin Nina Landsberg (Foto Hochhaus)

 

 

Einführung

Karl-Heinz Hochhaus

 Nach zwei fehlgeschlagenen Anläufen, die nachfolgende Geschichte der Latte als Buch herauszugeben, habe ich mich zu dieser Art der Veröffentlichung entschlossen. Nicht zu Unrecht wurde ich immer wieder auf den vergangenen Berliner Ordensfesten gefragt, wann denn nun endlich die bereits angekündigte Lattegeschichte veröffentlicht wird.

Auf meiner Homepage habe ich jetzt (Anfang 2018) den Text Kapitel für Kapitel hochgeladen und mit Bildern versehen, die wir seinerzeit in den Räumen der Latte am Salzfer 17 - 19 in Berlin gesichtet und fotografiert haben. Uns erfüllt mit Stolz, dass wir dabei immer wieder von interessierten Schiffbaustudenten nach Hintergründen und Einzelheiten gefragt wurden. Hier konnten besonders Burghard Müller Graf und Jürgen Wessel, beide in ihrer Studienzeit an der TU Berlin im HOK aktiv, kompetent antworten. Nicht zuletzt führten diese Gespräche zum Neuanfang der Lattentaufe, die von Müller Graf und  Wessel aktiv auf der Schleuseninsel durchgeführt wurde (weitere Beschreibung s. Kapitel 13).

 

Die Schiffbauervereinigung Latte wurde 1878 in Berlin von 16 Studenten gegründet, einige davon waren 1899 auch an der Gründung der Schiffbautechnischen Gesellschaft beteiligt. Die Latte fungierte nicht als Korps oder schlagende Verbindung, auch nicht als vaterländischer Verein, wie viele zu dieser Zeit, sondern als ein fachbezogener geselliger Orden. Hier erfolgte neben der Selbsthilfe die gemeinsame Beschaffung von Hilfsmitteln zum Studium und auch der Studentenulk spielte eine Rolle. Ähnlich wie bei der älteren „Hütte“, dem fachbezogenen Verein der Eisenhüttenleute, war die gegenseitige Hilfe durch Studenten höherer Semester und der Ehemaligen schon im Beruf stehenden ein wichtiges Element.

Ein entscheidender Unterschied zu den studentischen Verbindungen ist die starke fachliche Gemeinschaft der Studenten, besonders die Verbindung zu den Assistenten und Professoren der Schiffstechnik, die in der Regel selbst ehemalige Lattenbrüder sind. Daher erhält die Latte von diesen Seiten eine gute Unterstützung und die Erinnerungen an das eigene damalige Studium werden beim Lehrkörper lebendig erhalten. Diese Zusammenhänge und das Latteleben der Studenten wird hervorragend in der 2002 zum 50. Geburtstag erschienenen Chronik von Peter Kayser und Niels Lange „50 Jahre Orden der Heyligen Frawe Latte zu Hannover/ad Hammarburg“ dargestellt. Die von Hannover über Hamburg nach Harburg umgezogene Tochter der Berliner Latte wurde 1951 in Hannover geboren. Dabei leistete die Mutter Latte in Berlin und die ältere bereits 1904 in Danzig geborene Tochter Geburtshilfe.

 

Es war anhand vorliegender Quellen nicht immer einfach, gerade in der Anfangszeit die Hintergründe und die Fakten der Latte darzulegen. Hier war die Chronik zum 50. Jubiläum der Latte, die 1928 in Berlin erschien, eine sehr große Hilfe. Der Aufbau dieser Chronik wird weitgehend übernommen, woraus die dreigliedrige Struktur - Hochschule, Latte, Schiffstechnik -  dieses maritimen Lesebuches vorgezeichnet war. Die dabei entstehenden Brüche und fehlenden Übergänge im Textfluß werden dabei bewußt in Kauf genommen.

 

 

 

 

 

Links: Jürgen Wessel und Fritz Berg in Berlin am Salzufer beim Sichten der Latteunterlagen

 

Unten von links nach rechts: Ohm Krüger, Jobst Lessenich, Jürgen Wessel und Fritz Berg in Berlin am Salzufer beim Sichten der Latteunterlagen

Um die Hintergründe und Geschichte der Latte als Mittellinie rankt sich daher auf der einen Seite die Entwicklung der Wissensvermittlung. Diese erfolgte anfangs vom Vater auf den Sohn, dann über Schiffbauschulen, polytechnischen Schulen, Ingenieurschulen, Fachhochschulen und heute von Hochschulen und Technischen Universitäten. Die ersten drei Lehrergenerationen der Berliner Schiffbauausbildung wurden weitgehend von der kaiserlichen Marine gestellt, da die wesentlichen wissenschaftlichen und innovativen Impulse für den deutschen Schiffbau der ersten Dekaden von hier kamen.

Auf der anderen Seite wird die Anwendung dargestellt. Das sind in vorderster Front die Werften, auf denen die Schiffe entstehen, aber auch die Reedereien, die die Schiffe betreiben und nicht zuletzt die Zulieferindustrie. Die wachsende Rolle der deutschen Zulieferindustrie ist im technischen Fortschritt (Antrieb, E-Technik, Automation) aber auch in der stetig wachsenden Arbeitsteilung begründet. Wer weiß heute noch, daß die Werften vor 100 Jahren eine hohe Fertigungstiefe aufwiesen und neben den Antriebsanlagen (Dieselmotoren, Dampfturbinen) auch Pumpen, Rudermaschinen, Decksmaschinen und Lukendeckel gebaut haben.

Alle diese Bereiche – Hochschule, Werften, Zulieferindustrie, Marine, Schiffahrt, und Behörden– werden von der Latte verknüpft, da die Menschen der Latte häufig das verbindende Element darstellen. Der Mensch, der werdende Schiffbauer oder Schiffsmaschinenbauer erlebt die Latte zuerst als Student. Danach als Praktikant auf der Werft, dem Seeschiff oder der Zulieferindustrie und nach dem Diplom als Ingenieur in der Praxis. Manchmal sogar später als Lehrer, Dozent oder Professor  in der Wissenschaft oder der Lehre, und der Kreis ist geschlossen. Es bleibt der gleiche Mensch, der dann gerne seine inzwischen reichen Erfahrungen an junge Lattenjünger weitergibt und freudig Hilfestellungen bei der Suche nach Praktika oder Firmen beim Start in den Beruf gibt.

Sehr schwierig war es, das soziale Umfeld darzustellen, denn jede Epoche hatte ihren Zeitgeist. Hier haben wir uns geholfen, indem wir dies maritime  Lesebuch in 13 zeitliche Abschnitte unterteilt haben. Im letzten Kapitel erhielten wir vom 2007/2008  amtierenden Berliner Ordenskapitel der Latte, das uns schon bei der Quellensuche kräftig unterstützte, einige Texte zu derzeitigen Aktivitäten.

Der  Pressestelle der TU - Berlin möchten wir für die Übersendung von Daten- und Bildmaterial unseren Dank aussprechen, ebenso dem Technikmuseum und dem Deutschen Schifffahrtsmuseum. Für die gute Unterstützung, die wir von mehreren Seiten erhalten haben, möchten wir uns an dieser Stelle bedanken, besonders bei Frau Ferreira, die Textteile aus Kopien der  Chronik zum 50. Geburtstag, aus anderen Quellen und aus handschriftlichen Notizen übertragen und Schreibfehler korrigiert hat. Beim Hansa Verlag bedanken wir uns für die engagierte Unterstützung und gute Zusammenarbeit, hier sollen stellvertretend für andere Frau Mellenthin, Frau Schmidt und besonders Herr Hinrichs genannt werden.

Es ist dem Autorenteam bewusst, dass besonders bezüglich der Latte und der Ausbildung viele Lücken und sicherlich einige Fehler und Irrtümer enthalten sind. Es galt jedoch die Devise, wenn wir es jetzt nicht aufschreiben, tut es keiner mehr! Deshalb ergeht an alle Lattenbrüder und Lattenschwestern die Bitte, nicht bloß Kritik zu üben und das mangelnde Geschick der Autoren zu tadeln, sondern entdeckte Fehler zu berichtigen und uns wünschenswerte Ergänzungen mitzuteilen.

 

Kapitel 1[1]  Die Gründung (1878 - 87)

 

Ich muss Politik und Krieg studieren, damit meine Söhne die Freiheit haben, Mathematik und Philosophie zu studieren. Meine Söhne sollten Mathematik und Philosophie studieren, außerdem Geographie, Naturgeschichte, Schiffbau, Navigation, Handel und Landwirtschaft, damit sie ihren Kindern das Recht geben, Malerei, Poesie, Musik, Architektur, Dekoration und Porzellan zu studieren.

 

John Adams (30.10.1735 - 04.07.1826) 2. Präsident der USA (1797-1801) und erster Vizepräsident

 

Was in diesem Jahr 1878 geschah

 Weltgeschichte

 Der russisch-türkische Krieg wird mit der Unabhängigkeit der Balkanstaaten beendet.
England beginnt einen Krieg gegen Afghanistan.

 In Italien wird Umberto I. neuer König.

 Deutsche Geschichte

 Nach nunmehr zwei Attentaten gegen den Kaiser wird das Gesetz gegen die Sozialisten erlassen.  

 Die Kinderarbeit wird mit Ausnahme der Landwirtschaft und Heimarbeit abgeschafft.
In Hannover wird der Deutsche Fußballverein gegründet.

 Technikgeschichte

 Unter Leitung des Berliner Museums beginnen im westlichen Kleinasien umfangreiche Ausgrabungen des Pergamonaltars.

 Vulcan- und Schichauwerft in Stettin und Elbing sind 1878 Deutschlands führende Werften.

Unsere Chronik der Latte beginnt  ebenfalls im Jahr 1878, aber wir richten unser Augenmerk auf Berlin. Der Kaiser hatte ein Attentat schwer verletzt überlebt und kehrte nach längerer krankheitsbedingter Abwesenheit nach Berlin zurück.

 

 Abbildung 1: Das Hauptgebäude der Königlich Technischen  Hochschule wurde an der damaligen Berliner Strasse, der heutigen Strasse des 17. Juni, nach dem Entwurf  von Richard Lucae erbaut und 1884 eingeweiht (Quelle TUB).

      1 Die Gründung des Ordens der heiligen Frau Latte (1878 - 1888)

Quelle [1] weitgehend wörtlich übernommen, Zwischenüberschriften später eingefügt

 Mit dem Erstarken des am 18. Januar 1871 in Versailles gegründeten Deutschen Reiches wuchs langsam auch die Zahl der Schiffbaustudierenden, und begeistert jubelten sie dem von allen rechtlichen Deutschen aufs höchste verehrten Kaiser Wilhelm I zu, wenn er sich mittags beim Vorbeimarsche der mit klingendem Spiele aufziehenden Schlosswache an dem historischen Erkerfenster bei dem Denkmal des großen Friedrich dem Volke zeigte. Aus diesem Gefühle heraus, das nur die voll würdigen können, welche diese Zeit miterlebt haben, ist die gewaltige Erregung zu versehen, die vor allem die akademische Jugend ergriff, als jener Nobiling den Kaiser, der niemand etwas zu Leide tun konnte, am 2. Juni 1878 durch zwei Schrotschüsse von einem Hause unter den Linden aus so schwer verletzte, dass er außerhalb Berlins Heilung und Erholung suchen musste. Die Rückkehr des Kaisers nach Berlin gab dann den äußeren Anlass zu einem innigeren Zusammenschlusse der Schiffbauer, und es erfolgte die Gründung des Ordens der heiligen Frau Latte von Studenten, die sich längst alle gut kannten und innerlich schon fest verbunden waren.

 

                                                                                    25 Schiffbaustudenten (1878)

Der Orden wurde von 16 Schiffbaustudenten gegründet. Auch die übrigen Saalmitglieder, welche bei der Gründung des Ordens in der Hasenheide nicht zugegen waren, traten sofort in den Orden ein, der dadurch die sämtlichen Schiffbauer, etwa 25 an der Zahl, durch ein festes Band umschloss, ohne dass Satzungen ausgearbeitet und regelmäßige Geldbeiträge erhoben wurden. Dafür wurden die Stiftungsfeste anfangs monatlich gefeiert. Alle Streitigkeiten, die bei dem engen Zusammenleben auf den kleinen Sälen nur zu leicht entstanden, wurden von der Latte schon im Keine erstickt; alle Studierenden, mochten sie sonst einer Verbindung angehören, welcher sie wollten, fügten sich willig in die Latte ein, und dass trotz der fröhlichen Stimmung in den Sälen und trotz den häufigen Ablenkungen das Studium dabei nicht zu kurz kam, beweisen die guten Ergebnisse der Diplom-Prüfungen und die hohen Stellungen, die viele von diesen Lattenbrüdern im Leben erreicht haben.

 Dem Umstande, dass diese Urkunde erst 16 Jahre nach der Gründung der Latte von den beiden Leitern der kleinen Schar, Brinkmann und Gräber, aus dem Gedächtnis aufgezeichnet ist (s. Kapitel 2), mag es zuzuschreiben sein, dass dabei die Namen von einigen Teilnehmern an der Gründung vergessen sind. Das sind der jetzige Generaldirektor Lechner und der eine von zwei früheren Schiffbaudirektoren, nämlich der erst kürzlich von der Schiffbautechnischen Gesellschaft mit der silbernen Denkmünze ausgezeichnete frühere Marine-Schiffbaudirektor in Kiel Tjard Schwarz oder der frühere Direktor der Vulkanwerft Dr.-Ing. E. h. Louis Schwarz; ferner waren der bekannte Generaldirektor Nawatzki vom Bremer Vulkan, Ehrenbürger der Technischen Hochschule, und vielleicht noch andere dabei beteiligt.

 

Abbildung 2: Lage der Gewerbeakademie in der Klosterstraße im Berliner Zentrum (Quelle Dr. Hochhaus)

 

Abbildung 3: Königliches Gewerbeinstitut in Berlin  in der Klosterstraße, 1821 als Königliche Gewerbeschule gegründet (Quelle 50 Jahre Latte)

 

1.1.1 Arbeitsräume in der Klosterstraße

 Es scheint von jeher die Art der Schiffbauer gewesen zu sein, dass sie wie Pech und Schwefel zusammenhängen. Die Überlieferung berichtet schon von einem solchen Zusammenhalt an der bekannten Schiffbauschule in Grabow an der Oder, an der bis 1861 die Schiffbauer, damals nur im Holzschiffbau, ausgebildet wurden, und die von allen preußischen Schiffbauern besucht worden ist mit Ausnahme derjenigen, welche die weltberühmte Kopenhagener Schule mit ihren nicht minder berühmten Kurvenlinealen aus schönem Buchsbaumholz bezogen.  

 Eine Reihe alter und ältester Bücher aus den Beständen der Grabower Schule wird noch beim Lehrstuhl für Kriegsschiffbau und in der Hauptbibliothek der Hochschule aufbewahrt. Ostern 1861 ist diese Schule dann dem Gewerbe-Institut in Berlin, Klosterstraße 36, angegliedert worden, an der der oberste Schiffbautechniker der Marine, der wirkliche Geheime Admiralitätsrat Elbertzhagen, bis 1873 den Schiffbau lehrte, eine Tätigkeit, in der ihm bis zur Errichtung einer ordentlichen Professur für Kriegsschiffbau im Jahre 1913 stets die obersten Techniker der Marine, Koch, Brix, Dietrich, Brinkmann, Rudloff folgten. Die Ausbildung im Schiffsmaschinenbau wurde 1874 durch den Marine-Ingenieur Schwarz-Flemming (bis 1882) eingeleitet, dem 1879 der hervorragend tüchtige wirkliche Admiralitätsrat Görris (bis 1901) folgte.

 In der Klosterstraße haben die Schiffbauer in dem obersten Geschosse des Hinterhauses, an dem von chemischen Düften geschwängerten Hofe, stiefmütterlich behandelt, mehr als 20 Jahre lang bis 1884 in zwei kleinen Zimmern gehaust. Im Herbst 1884 ist dann die Technische Hochschule, die bereits 1879 aus Bau- und Gewerbe-Akademie gebildet war, in das neu errichtete Prachtgebäude in Charlottenburg eingezogen.

 

Abbildung 4: Die Schiffbaustudenten des 5. und 7. Semesters im Jahre  1879 (Quelle Latte)

 

1.1.2 Umzug in die Technische Hochschule in die Säle 210 und 211 (1884)

 Die Zahl der Lattenbrüder wuchs dann weiter mit dem Aufblühen des deutschen Schiffbaues und nachdem 1882 die Dauer des Studiums von drei auf vier Jahre erhöht war, zogen etwa 40 Schiffbauer im Herbst 1884 in das neue Gebäude in Charlottenburg ein. Hier wurden ihnen die beiden, damals noch nicht durch Abbauten verkleinerten, riesenhaften Säle 210 und 211 überwiesen, in denen die funkelnagelneuen, in beträchtlichen Abständen aufgestellten Tische der Benutzung harrten. Der ungewohnt große freie Platz hatte aber die Wirkung, dass schon zwei Tischnachbarn, von dem Hintermann gar nicht zu reden, nicht mehr wie früher sich bei der hauptsächlich in der Anfertigung von Zeichnungen bestehenden Arbeit von ihren Plätzen aus mit der Ziehfeder in der Hand leise unterhalten konnten, ohne die übrigen Saalgenossen zu stören, dass man zum Meinungsaustausche die Arbeit unterbrechen musste, was die Arbeitsleistung beeinträchtigte, und dass von der früher gewohnten gemütlichen, aufheiternden Unterhaltung über den ganzen Saal nicht mehr die Rede sein konnte.

 Auch sonst waren die Verhältnisse in der neuen Musenstadt Charlottenburg, die damals noch keine Gasthöfe und keine geeigneten Kneipen hatte, durchaus nicht günstig für die Latte. Beim Mittagstisch in der im Hochschulgebäude eingerichteten Studenten-Speiseanstalt suchten die Studierenden gerne die festen Plätze ihrer Verbindungen auf; mehr als die Hälfte der Studierenden wohnte wie früher in Berlin, das westlich damals bis eben an den Nollendorfplatz reichte, und die Überwindung der großen Entfernungen durch Pferdebahnen und die soeben in Betrieb genommene Stadtbahn kostete viel Zeit.

 

Ermüdungserscheinungen

 Hierbei verdient ein niedliches kleines Erlebnis aus dem Jahre 1884 erwähnt zu werden. Einem jungen Semester, das sich erkundigt hatte, wo man den Geheimrat Dietrich zur Anmeldung treffen könne, war gesagt worden, ein älterer Herr mit kahlem Kopfe käme auf den Saal, lege seinen Überzieher auf den Tisch und zöge sein Notizbuch heraus. Das tat nun eines Tages ein Studierender mit blitzblankem Kahlkopf, und der Fuchs, der sich ihm bescheiden mit feinem Anmeldebogen nahte, war nicht wenig erstaunt, als er mit dem Bemerken abgewiesen wurde: „Nein, Sie irren sich, ich bin selber noch Student“.

Die Folge des durch die großstädtischen Verhältnisse bedingten Auseinanderstrebens war, dass, wenn auch die alten Semester fest zusammenhielten, die Verbindung mit dem Nachwuchs nicht in dem Maße wie früher gesucht und geknüpft wurde, dass der Orden der Latte allmählich einschlief und zwei Jahre lang überhaupt nicht in die Erscheinung trat.

 

 1.1.3 Berninghaus und Flamm gründen den Latten-Schutz-Verein

 Etwas war doch von der Klosterstraße her übernommen, und das war der erst wenige Jahre vorher von Berninghaus, Flamm und anderen ins Leben gerufene Latten-Schutz-Verein. Die für jeden Schiffbauer unentbehrlichen Latten konnten nicht unter Verschluss gehalten werden, weil die einzigen verschließbaren Behälter, die Schiebladen in den Zeichentischen, dafür zu kurz waren. Die Latten mussten deshalb frei auf den Tischen liegen bleiben. Hatte nun jemand sich gerade eine gute Latte beschafft, so war das bald bekannt, und sie wurde natürlich, auch wenn der Eigentümer abwesend war, und ohne dessen Wissen gern von anderen benutzt, nicht immer vorsichtig behandelt und bei Spielereien wohl auch zerbrochen. Deshalb nahmen die Klagen über beschädigte Latten kein Ende, und so zwang die Not dazu, die Latten saalweise gemeinsam zu beschaffen und Lattenschutz-Vereine mit Lattenschutz-Direktoren an der Spitze zu gründen, die gegen Erhebung eines mäßigen Beitrages für brauchbare Latten in genügender Zahl zu sorgen und auch deren fachgemäße Behandlung zu überwachen hatten. Diese durchaus zweckmäßige Einrichtung wurde in die neue Hochschule mit hinüber genommen, und sie bildete zunächst das einzige Band, das die Schiffbauer wenigstens saalweise miteinander verknüpfte.

 

 Ordensmeister Eichhorn leitet erfolgreichen Kommers

 Aber auch sonst machte sich das Bedürfnis nach einem strafferen Zusammenschlusse der Schiffbauer bald bemerkbar. Die eigenartigen Verhältnisse des Schiffbauers, die ellenlangen Zeichnungen, die krummen Linien zwangen den Schiffbauer, im Gegensatze zu den meisten anderen Studenten, von jeher seine kollegfreie Zeit auf den Sälen zu verbringen, die sich morgens früh im Sommer von 7 Uhr ab füllten, und abends bis zum Torschlusse belegt waren. Im Gegensatz zu den anderen Übungssälen der Hochschule war hier stets jemand zu finden, den man um Rat fragen und mit dem man, ohne ihn bei seiner zeichnerischen Arbeit zu stören, plaudern konnte, und so schlossen Einzelne sich hier bald enger zusammen, als innerhalb ihrer Verbindungen, in denen man sich abends auf der Kneipe traf. So kam es, dass schon 1886 die „Latte“ von Bonhage, Bürkner, Otto Haad, Konow, Eugen Schmidt, Teucher, Wellenkamp und anderen neu aufgetan werden konnte, und dass der zahlreich besuchte, von dem Ordensmeister Eichhorn geleitete Kommers in der Passage einen glänzenden Verlauf nahm. Getragen von allgemeiner Begeisterung blühte der junge Orden sofort kräftig auf.

 

1.1.4 Das erste Ordensfest und Deckstrak (1887)

 Am 9. Februar 1887 fand das erste Ordensfest statt, das der Ordensmeister leitete, dem man zur Unterstützung einen „Zeremonienmeister“ für den äußeren Dienst und einen „Kanzler“ für die Geldwirtschaft beigegeben hatte. Hier sind auch die „Prüflinge“ zum ersten Male in Erscheinung getreten, und der Orden war schon stark genug, unter der Leitung des „Chefredakteurs“ Bürkner und seiner Helfer eine 20 Seiten umfassende, vorzüglich verfasste Bierzeitung, den berühmten „Deckstrak“ herauszubringen. Im Dezember 1887 wurde ein Weihnachtskommers mit einer Mimik unter der Leitung des später in der Marine zu hohen Stellungen gelangten Kleeblattes Bürkner, Bockhacker, Konow durchgeführt. Mit Weihnachtsgeschenken für die Lehrer und für verdiente Lattenbrüder – der strenge, mehr geachtete als geliebte Wirkliche Geheime Admiralitätsrat Dietrich hat sich dabei über das mit vielen Klappen versehene, nach Bedarf zu verlängernde, mit beliebig vielen Schornsteinen auszustattende Pappmodell eines „ausziehbaren Normalschiffes“ so gefreut, dass er seine schon etwas steifen Beine auf den Tisch gelegt hat, - da war auch das alt übernommene „Familien“-Verhältnis mit den Lehrern wiederhergestellt und der inzwischen stark angewachsene Orden fest gegründet.

 

Abbildung 5: Der Zirkel der Latte 1879  (Quelle Latte)

Abbildung 6: Ein frühes Bild vom  Ordensmeister, Kanzler und Zeremon, insgesamt als Ordenskapitel bezeichnet (Quelle Latte)

 

Abbildung 7: Die mit 16jähriger Verspätung erstellte Gründungsurkunde aus [1]

 

Titel und die ersten Prüflinge

 

Allerdings war die neue Latte wesentlich anders „aufgezogen“ als die alte. Dem Ordensmeister war die Anrede „Herrlichkeit“, dem Zeremonienmeister und dem Kanzler die einer „Exzellenz“ beigelegt; verabschiedete Exzellenzen wurden „Exexzellenz“ angeredet; die Lattenbrüder rückten von „unedlen, aber hoffnungsvollen“ Prüflingsanwärtern bei der Aufnahme zu Prüflingen, dann mit ihrem Dienstalter an Semestern und ihren Erfolgen bei den Hochschulprüfungen zu „liebwerten“ Knappen, „edlen“ Rittern, „hochedlen“ Komturen auf; die Saaldirektoren wurden in ihren Machtbefugnissen wesentlich verstärkt. Alles das und vieles andere ist in dem mehr als zweihundert Folioseiten umfassenden „Ordensbuche“ mit großem, durchaus zu lobendem Fleiße 1912 von dem Ordenskapitel Hennecke, Gallus und Albrecht ausführlich niedergeschrieben.

 

1.2 Historische Entwicklung der Schiffbau-Ausbildung und der Latte

 1.2.1 Chronik von 1834 - 1887 [1, 2, 3, 4]

 

1834 in Stettin werden die ersten Schiffbauer ausgebildet (6 Schüler)

 1847 Umzug nach Grabow

 1861 Eingliederung in das Königliche Gewerbeinstitut in Berlin, Klosterstraße

 1866 die Königliche Gewerbeschule wird Königliche Gewerbeakademie

 1874 Aufnahme des Lehrfaches Schiffsmaschinenbau (Schwarz-Flemming)

 1877 Studienpläne statt  Stundenpläne

 1878 Drittes Attentat auf den Kaiser

 1878 Gründung der Latte

 1879 Zusammenschluss der Königlichen Gewerbeakademie und der Königlichen   

           Bauakademie zur Königlichen Hochschule Charlottenburg

 

1882 die Dauer des Studiums wird von drei auf vier Jahre erhöht

 1884 Umzug der Studenten in das neue Gebäude in Charlottenburg (Säle 210 und 211)

 1886 die Latte wird neu aufgetan, Eichhorn Ordensmeister

 1887 die Latte feiert das 1. Ordensfest am 7. Februar, Titel werden eingeführt,

Bierzeitung Deckstrak entsteht

 1887 die Latte feiert im Dezember den ersten Weihnachtskommers

 

1.2.2  Anfänge der maritimen Ausbildung in Deutschland

 K.-H. Hochhaus [1, 3, 5, 6]

 Über die Philosophie - frei übersetzt Liebe zur Weisheit – gelangte eine Minderheit von privilegierten Männern in Europa schon seit der Zeit der Griechen zu hohem Wissen. Dazu gehörten auch die Lehre von der Mathematik und Mechanik.

 In Deutschland gelangte man zur Technik vor vielen Jahren über zwei Wege, schon sehr lange über die Naturwissenschaften an den Universitäten und später über spezielle Praxis orientierte Schulen. In der Zeit von 1830 - 1870 durchlaufen diese so genannten polytechnischen Schulen den Prozess der Akademisierung zu den späteren Technischen Hochschulen und danach den Technischen Universitäten. Diese Technikwissenschaften wurden mit der Industrialisierung immer wichtiger und zogen zunehmend Studenten an.

 

Auswirkungen der 1651 erlassene britische Navigationsakte

 Die 1651 erlassene britische Navigationsakte hatte Auswirkungen auf die Schiffahrt und Schiffbau. Deutsche Schiffe wurden dadurch größer, denn sie mussten sich von den Küsten lösen, fuhren in immer fernere Länder und die Kapitäne und Steuerleute benötigten eine bessere Ausbildung - der Anfang der Navigationsschulen. In Preußen ging die Gründung dieser Schulen vom Staat aus, in den Hansestädten waren es weit blickende Privatpersonen, wissenschaftliche oder gemeinnützige Gesellschaften, die  diese Initiative ergriffen. So wurde die Navigationsschule in Bremen 1799 eröffnet, jedoch gab es vorher wie auch in anderen Hansestädten Privatschulen. Das Wissen und die Praxis zum Bau und Führen von Schiffen wurden anfangs vorwiegend vom Vater auf den Sohn vererbt, dann auf Schulen und Akademien gesammelt und weitergegeben. Dabei wurden die Studiendauer und das zu erwerbende Wissen über Patente und Titel in verschiedene Klassen gerastert. Begonnen bei dem Handwerker über den Meister oder Techniker bis zum Ingenieur, Oberingenieur bis zum Professor. Bis vor kurzem hatte die Praxis einen hohen Stellenwert, der jedoch im Laufe der Zeit immer weiter reduziert wurde.

1.2.3 Werftensterben beim Übergang vom Handwerk zur Industrie

 K.-H. Hochhaus [1, 3, 5, 6]

 Beim Bau von Schiffen, lange ein traditionelles Handwerk, welches in Deutschland alleine an der Weser, Elbe und den Nebenflüssen sehr viele Werften beschäftigte, war das Wissen lange nur im Kopf der Handwerker oder Meister. Größere Schiffe waren mit diesen Strukturen nicht zu bauen und so setzt ein schritt weiser Evolutionsprozess ein, der mit Zeichnen und Aufschreiben einherging. Dieser Prozess wurde beim Übergang von Holz- auf den Eisenschiffbau beschleunigt, weil weitere Handwerksberufe benötigt wurden und das Material nicht mehr aus der Umgebung beschafft werden konnte. Mit den Antriebsmaschinen kamen weitere Berufe dazu, kleinere Werften beherrschten einige der Technologien nicht mehr und neu entstehende Maschinenfabriken wurden zu Werftzulieferern. In dieser Zeit begannen die Spezial- und Universalwerften auseinander zu streben. Parallel setzte das große Werftensterben ein. Viele Betriebe, die den Übergang vom Holz- auf den Eisenschiffbau nicht bewältigten, gaben auf. Die dabei frei werdenden Bauplätze und Handwerker wurden dringend vom Nachbarbetrieb benötigt. Dieser Prozeß lässt sich gut in der Entwicklung der Sietas Werft nachlesen  [7], die sich  bis 1635 nachweisen läßt. Ganz anders verlief diese Entwicklung bei den staatlichen oder industriellen Werften, die sich häufig aus Übernahmen, seltener als Neugründungen wie die Deutsche Werft auf Finkenwerder oder die Nordseewerke in Emden entwickelten.

 So begann die Ausbildung der Schiffbauer 1834 im damaligen Schiffbauzentrum Stettin an der Navigationsschule und wurde später in Berlin im Königlichen Gewerbeinstitut integriert. Der nachfolgende Prozess  der Akademisierungs führte dann, wie oben beschrieben, über die Technische Hochschule zur späteren Technischen Universität. 

 

Abbildung 8: Die Hansa wurde 1864 gegründet, und hat  die maritime Wirtschaft und Technologie  seit dieser Zeit begleitet

 

1.2.4  Von der Schiffbauschule Stettin zur Gewerbeakademie (1834 – 1861)

 Der folgende Text wurde weitgehend wörtlich aus [1] übernommen. 

 Diese Schule war die einzige ihrer Art in Deutschland und überhaupt in der Welt. Auch in England besteht erst seit 1858 in London eine Schiffbauschule, nachdem Ansätze dazu aus den Jahren 1810 bis 1833 und 1849 bis 1853 sich nicht als lebensfähig erwiesen hatten. Die Sorgfalt und die Gründlichkeit, mit welcher der Lehrer für die deutsche Schule ausgewählt und ausgebildet war, ist ein Beweis für die Bedeutung, die man in Preußen dieser Anstalt beilegte. Als Prüfungsarbeiten wurden u. a. ein eigenhändig gezimmertes Boot, der Entwurf eines Handelsschiffes einschließlich Zutafelung nebst Kostenanschlag, sowie Berechnung der Ladefähigkeit für verschiedene Güter verlangt.

 

 Klawitter  ( -1838) [1, 8]

 Um einen tüchtigen Lehrer im Schiffbau für eine schon 1750 geplante Schiffbauschule heranzubilden, wurde Gustav David Klawitter, der Sohn von Johann Jakob Klawitter, zur weiteren Ausbildung auf Staatskosten gefördert. Er hatte eine gute Schulbildung, die Seemannschaft und das Schiffszimmer-Handwerk praktisch erlernt und seine  Steuermannsprüfung abgelegt. Nach jahrelanger Praxis auf See und auf den Werften hatte er 1830 außerdem seine Schiffbaumeister-Prüfung abgelegt.

 

Er wurde zur weiteren Ausbildung zunächst nach Berlin an das Gewerbeinstitut (Mathematik und Mechanik), dann nach Dänemark, England, Frankreich und Holland geschickt und übernahm 1834 bis zu seinem Tode (1838) die von 5 – 6 Schülern besuchte Schiffbauschule in Stettin am Pladrin 120, später Wallstraße 26.  Von ihm stammen die 1835 herausgegebenen „Vorlegeblätter für Schiff-Bauer“. 1838 ergänzte ein Mathematiker als Hilfslehrer den Unterricht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abbildung 10: Plakat vom Norddeutschen

  Lloyd 1875 mit einem Schnelldampfer der Flüsse Klasse um 1880 (Quelle NDL)

 

1.2.5  Verlegung der Schiffbau–Ausbildung nach Berlin (1861)

 Im Jahr 1861 wurde der Unterricht im Schiffbau an dem Königlichen Gewerbe-Institut, Berlin, Klosterstraße 36, aufgenommen, das Ende 1860 den bisher schulmäßigen Betrieb aufgegeben hatte. Dies Institut ist aus der 1821 gegründeten Königlichen Gewerbeschule entstanden. Hier wurden die Grundlagen geschaffen, um eine methodische Ausbildung von technisch interessierten jungen Menschen zu realisieren. Die gründliche theoretische und praktische Ausbildung wurde sehr systematisch betrieben und der Erfolg zeigte sich besonders in den Erfolgen der Absolventen. Die Angliederung der Schiffbauer war ein bedeutsamer Schritt, besonders in zwei Richtungen.

 

 Zunächst wurde der junge Schiffbauer dadurch Mitglied einer größeren vielseitigeren Gemeinschaft, als sie die kleine Grabower Schule mit nur zwei Lehrern bieten konnte. Er gewann die Möglichkeit, sich über Dinge zu unterrichten, die, wie der stark vordrängende Schiffsmaschinenbau, ein lebenswichtiger Bestandteil des Seeschiffes wurde. Im Lektionsplan von 1861 war er noch als Land-Dampfmaschinenbau vertreten. Außerdem konnten junge Schiffbauer sich mit den vielen anderen Fragen beschäftigen, die nur mittelbar mit dem Schiffbau zusammenhängen, aber für die Entwicklung wichtig sind. Sein Gesichtskreis erweiterte sich bedeutend durch den Verkehr mit Technikern anderer Berufe, während er bisher auf den einseitig gebildeten Kreis seiner Fachgenossen angewiesen war. Die Schüler genossen den Vorteil des stark anregenden Lebens in der Landeshauptstadt, kurz er kam aus den engen vier Wänden der kleinstädtischen Fachschule heraus in eine großstädtische akademische Anstalt.

 1.3  Lehrer an drei Schulen [1, 2, 6]

 1834-38         Klawitter, G. D., 1. Schiffbaulehrer an der Schiffbauschule  Stettin

1841-57         Elbertzhagen, Nachfolger von Klawitter in Stettin

 

Königliches Gewerbeinstitut ab 1866 Königliche Gewerbeakademie

1861-73         Elbertzhagen (Wirkl. Geh. Admiralitätsrat) Schiffbaukunst, eine Tätigkeit, in der ihm bis zur Errichtung einer ordentlichen Professur für Kriegsschiffbau im Jahre 1913 stets die obersten Techniker der Marine, Koch, Brix, Dietrich, Brinkmann und Rudloff folgten.

1873-85         Brix A. (Wirkl. Geh. Admiralitätsrat, Rektor) Schiffbaukunde

1874-82         Schwarz-Flemming (Marine-Ing.), Schiffskessel, Schiffsmaschinenbau

1876-98         Dietrich, A. (Wirkl. Geh. Admiralitätsrat, Chefkonstrukteur, Prof.

                         Entwerfen von Schiffen, Konstruktion  Kriegsschiffen

 

Königliche Technische Hochschule Charlottenburg

1879-01         Görris, J. (Wirkl. Geh. Admiralitätsrat,  Prof.) Schiffskessel, Schiffsmaschinenbau, Hilfsmaschinen

1879-91         Dill, K. (Marine Schiffbau-Ing., Prof.) Theorie, Entwerfen, Prakt. Schiffbau

1887-01         Zarnack, W. (Wirkl. Geh. Admiralitätsrat, Chefkonstrukteur, Prof.) Praktischer Schiffbau, Bootsbau

 ***

Elbertzhagen, Schiffbau  (1814 - 1880) [1, 6]

 Carl Alexander Elbertzhagen, am 22. Februar 1814 geboren, besuchte das Gewerbeinstitut in Berlin, die Schiffbauschulen in Stettin und Kopenhagen.  Sein Lehrer in Stettin war G. D. Klawitter, deren Arbeit er später fortsetzte.

 

An der Navigationsschule in Danzig erwarb er Kenntnisse in Seemannschaft und Navigation, um auch den Schiffsbetrieb zu erlernen. Danach wurde er vom Minister Beuth nach Berlin berufen, um hier die internationale Schiffbauliteratur zu studieren.  Beuth sandte ihn nach der Prüfung zum Schiffbaumeister von 1839 - 41 nach England, Frankreich, Rußland und Nordamerika, damit Elbertzhagen seine Kenntnisse im Schiffbau vertiefen konnte. Nach dieser Studienreise berief Beuth Elbertzhagen als  Lehrer und Direktor an die Schiffbauschule in Stettin-Grabow, da  Klawitter 1939 verstorben war. Elbertzhagen unterrichtete von 1841-1857 in Stettin und legte neben dem praktischen Unterricht einen großen Wert auf theoretische Fächer wie Schiffskonstruktion, das Zeichnen von Schiffslinien, Mathematik, Mechanik, Statik und  Hydrodynamik. Der Unterricht wurde sehr intensiv durchgeführt und die Schüler erhielten eine hervorragende Betreuung, da selten mehr als 12 Schüler unterrichtet wurden.

 

Elbertzhagen war neben der Tätigkeit als Lehrer für die preußische Marine als Konstrukteur und in der Bauaufsicht tätig und hat für Preußen auf der Hamburger Konferenz zur Einführung einer einheitlichen Schiffsvermessung mitgearbeitet. 1856 wurde er als Marine-Schiffbau-Direktor in die Königliche Preußische Admiralität berufen und ein Jahr später führte er außerdem die Königliche Werft in Danzig. Somit war er verantwortlich für die Amtsentwürfe des Marine-Schiffbauprogramms bis 1867. 1872 wurde er zum Dezernent im Schiffbau der Kaiserlichen Admiraltät befördert und ging als Wirklicher Geheimer Admiralitätsrat in den Ruhestand.

 

Nach der Verlagerung der Schiffbauschule von Stettin(1861) an das Königlich Preußische Gewerbeinstitut, das ab 1866 in Königlich Preußische Gewerbeakademie umbenannt wurde, galt er als der erste akademische Lehrer für Schiffbau in Deutschland. Hier lehrte er von 1861 - 73  und begründete die Praxis, dass der Kriegsschiffbau an der Gewerbeakademie und später an der Technischen Hochschule Charlottenburg bis 1913 stets  von hohen Marineoffizieren gelehrt wurde.

 

Christian Peter Wilhelm Beuth, der preußische Minister für Handel, Gewerbe und Öffentliche Arbeiten war ein sehr weit blickender Politiker, der die Bedeutung der Industrie und Technik erkannt hatte. Daher förderte er die Ausbildung dieser Segmente besonders und sorgte dafür, daß die Lehrer auf Kosten des Ministeriums gut ausgebildet wurden und ins Ausland auf Studienreisen gesandt wurden.

 

Dietrich, Schiffbau (1843-1898)

Die hervorragendste Persönlichkeit in der jetzt „Sektion für Schiffbau“ genannten kleinen Gruppe war zweifellos Dietrich, die Latten-Bierzeitung von 1887, „Der Decksrat“ spricht von einem „Zirkus Dietrich“ – ein hochbegabter, außerordentlich fleißiger Beamter, der mehr als 20 Jahre lang neben seinen gewiss nicht leichten Arbeiten in der Marine die Ausbildung mit großen Erfolge geleitet hat. Zwar stützte er sich mehr auf ein hoch entwickeltes Gefühl als auf rein wissenschaftliche Grundlagen, aber streng, gewissenhaft, pflichtgetreu bis zum Äußersten hat er einen ausschlaggebenden Einfluss auf die geistige Entwicklung seiner Schüler ausgeübt. Leider hat sein hämisches Wesen es verhindert, dass er sich die rückhaltlose Zuneigung der studierenden Jugend erwerben konnte, aber alle seine Schüler sprechen mit hoher Achtung von ihm und viele bekennen gerne, dass sie ihr fachliches Wissen und Können, besonders durch den innigen persönlichen Verkehr in den Übungsstunden, in erster Linie Dietrich zu verdanken haben, dessen außergewöhnlich starke Arbeitskraft unser Land viele schöne Schiffe zu verdanken hat.

 

Dill, Schiffbau

Nach dem Ausscheiden von Brix im Jahre 1885 verfügte die Sektion nur noch über einen dritten Lehrer, den Marine-Ingenieur Dill, dem 1886, nach seinem Ausscheiden aus dem Marinedienste, die erste in Deutschland geschaffene ordentliche Professur für Schiffbau übertragen wurde. Dill, der 1879 nach Koch den Unterricht im „theoretischen Schiffbau“ übernommen hatte, war an sich ein tüchtiger Ingenieur. Es fehlte ihm aber die Gabe, seinen etwas eintönigen Vortrag lebendig zu gestalten, von dem ein großer Teil sich auf die Berechnung der Verdrängung, der Stabilität, sowie auf wichtige Grundsätze der Mechanik erstreckte. An der vollen Entfaltung seines Könnens ist er wohl durch seinen nicht sehr guten Gesundheitszustand gehindert worden. Er ist, erst 42 Jahre alt, 1891 in  Schöneberg gestorben.

 

Schwarz-Fleming und  Görries, Schiffsmaschinenbau

Von sehr günstigem Einflusse auf die Ausbildung war ferner Görris, der in der Marine unter Dietrich verantwortlich für die Maschinenanlagen der Kriegsschiffe war und, seit 1882 nebenamtlich, den gesamten Unterricht im Schiffsmaschinenbau leitete. Während sein Vorgänger Schwarz-Flemming, zur Hauptsache nur beschreibend, seine reichen Erfahrungen aus dem Marine-Borddienste seinen Hörern näher brachte, übertrug Görris, ein zuverlässiger Konstrukteur, mehr als 20 Jahre lang, sein reiches, gediegenes, von bedeutenden außerhalb der Marine stehenden Fachleuten (Stodola) anerkanntes Wissen auf seine Schüler. Sein bescheidenes, etwas ängstliches, stets liebenswürdiges Wesen stach merklich gegen das kalte Wesen Dietrichs ab; seine Vorträge, etwas nüchtern aber reichhaltig, erstreckten sich auch auf die Berechnung der Gestänge, und unangenehm war es seinen Schülern nur, dass er ihnen die vielen wertvollen Unterlagen von ausgeführten Maschinenteilen nur leihweise zum Pausen und nicht zu endgültigem Besitze aushändigte.

 

Zarnack, Schiffbau

Für den praktischen Schiffbau war 1887 nach dem Ausscheiden von Brix der Marine-Oberingenieur a. D. Zarnack gewonnen worden, der als beliebter, in freundschaftlichem Verhältnis zu den Studierenden stehender Lehrer bis 1901 gewirkt hat.

 

1.4 Das Maritime Umfeld

 1.4.1 Gründungsjahre von Reedereien 1878  - 1887 [5]

 1878 C. Mackprang jr., Hamburg .

 1880 Oldenburg-Portugiesische DampfschiffsRhederei, Oldenburg

 1881 Deutsche Dampfschiffahrts-Gesellschaft "Hansa", Bremen

 1881 A. Zedler, Lübeck

 1882 Flensburg Stettiner Dampfer Linie Otto Weide, Flensburg

 1883 H. W. Christopher Sen. Flensburg

 1883 Schulte & Bruns, Emden

 1884 W. Schuchmann, Bremerhaven

 1885 Afrikanische Dampfschiffs-Actiengesellschaft  Woermann-Linie,Hamburg1885 Aug. Cords, Bremen

 1886 H. Vogemann, Hamburg

 

 1.4.2 Gründungsjahre von Werften  1878 - 1887 [5]

 1879 Friedrich Rasche, Uffeln

 1882 Theodor Buschmann, Hamburg

 1882 Oberweser-Dampfschiffahrt GmbH, Hameln

 1883 Gebr. Schlömer, Oldersum

 1885 J. G. Hitzler, Lauenburg

 1886 Schiffswerft Gustavsburg GmbH, Mainz-Gustavsburg

 1888 Lanke-Werft, Berlin

 

1.4.3 Der Norddeutsche Lloyd (NDL) und Hapag haben eigene Trockendocks

1890 lag P&O mit 48 Schiffen und 251.603 BRT an erster, der NDL mit 66 Schiffen und 251.602 BRT an 2. Stelle und die Hapag mit 44 Schiffen und 136.656 BRT an 8. Stelle der internationalen Flottenstatistik.

 

Bisher lassen beide Reedereien ihre Schiffe in Großbritannien bauen, hier lassen sie ihre  Schiffe auch regelmäßig docken. Im Heimathafen der Schiffe werden am  Ende der Reise kleinere Reparaturen und Überholungsarbeiten durchgeführt.  1857 errichtete der NDL in Bremen dafür eine Reparaturwerkstatt mit geschulten Leuten. 1862 läßt der NDL für die transatlantischen Dampfer in Bremerhaven eine 2. Werkstatt errichten, die sich über den Technischen Betrieb nach dem Bau des Trockendocks (1870) zum Werftbetrieb entwickelt.

 

Schnelldampfer der ELBE-Klasse [9, 10]

 Direktor Lohmann, seit 1877 Direktor vom NDL, bestellte 1878, im Jahr der Lattengründung als erste deutsche Reederei Schnelldampfer.  Sie wurden in England gebaut und die ELBE wurde als erstes dieser Schiffe 1881 in Dienst gestellt, hatte vier Zylinderkessel mit 5,6 bar Dampfdruck und lief mit einer Leistung von 5200 PSi eine Geschwindigkeit von rund 16 Knoten. Das Schiff absolvierte die Jungfernreise am 26.6. 1881 von Bremerhaven nach New-York,  war besetzt mit 148 Mann, konnte 320 Passagiere der 1. und 2. Klasse und außerdem rund 800 Zwischendeckpassagiere befördern.

 

In diesem Dienst wurden 1878 vom NDL 71 Reisen, mit 17.200 Passagieren auf der Hin- und 8.500 Passagieren auf der Rückreise, durchgeführt. Die Hapag hatte in diesem Jahr 52 Reisen mit 15.800 Passagieren auf der Hin- und 8.700 Passagieren auf der Rückreise durchgeführt.

 Die zu dieser Schiffsklasse gehörende WERRA erhielt 1883 als erstes deutsches Handelsschiff elektrische Beleuchtung mit den 1879 patentierten Glühbirnen. Die Beleuchtungsanlage wurde von der Deutschen Edison Gesellschaft geliefert, die 1887 zur Allgemeinen Ektricitäts-Gesellschaft (AEG) umfirmierte.

 

Preise

 Die Passage der Linie Bremen – New-York kostete für erwachsene Personen in der 1. Klasse 500 Mark, in der 2. Klasse 300 Mark und im Zwischendeck 120 Mark. Die Retourbillets kosteten 780 (1. Klasse), 460 (2. Klasse) und 200 Mark  (Zwischendeck).  Für Kinder im Alter von 1 bis 10 Jahren wurde die Hälfte berechnet. Im Preis sind die Bettwäsche, Handtücher und volle Verpflegung enthalten, außer Getränke wie Wein, Sekt und Bier. Zwischendeckspassagiere dagegen mussten Bettzeug, Handtücher, Eß,- Trink- und  Waschgeschirr mitbringen. An Reisegepäck ist pro Passagier ½ cbm frei, darüber hinaus wird 50 Mark pro cbm berechnet.

 Die schiffstechnische Fachzeitschrift Hansa kostete 1864 vierteljährlich 1 Thaler preußische Curant  bei 14 tägiger Erscheinung, also 6 Ausgaben. Das Heft  kostete 1/6 Thaler

 

 

Literatur:

 [1] N.N : Festschrift zum 50. Ordensfest der Schiffbauer Latte, Herausgeber Festausschuss, Berlin 26. 2. 928

 

[2] N. N.: Presseamt der Technischen Universität (TU-Berlin)

 

[3] Rürup, R. (Herausg.): Wissenschaft und Gesellschaft, Beiträge zur Geschichte

 der Technischen Universität Berlin 1879-1979, Springer Verlag Berlin,1979

 

[4] N. N.: Jahrbücher der Schiffbautechnischen Gesellschaft (STG), STG e. V. Berlin; verschiedene Jahrgänge

 

[5] Schroedter, P. Schroedter, G. (Hsg.): 100 Jahre Schiffahrt Schiffbau Häfen, 1964, Schiffahrts-Verlag Hansa, Hamburg

 

[6] Lehmann, E.: Schiffbautechnische Ausbildung In Deutschland; Gestern und heute, 2001Hamburg; Schiff und Hafen

 

[7] Krummelinde, K.: Sietas Werft von 1635 – 2000, Verlag Drucckerei Pusch, Buxtehude ISBN 3-9805014-9-3

 

[8] Lehmann, E.: Biographien, für die STG, 1999 Springer Verlag

 

[9] Keil, H., Hochhaus, K.-H. (Herausgeber): 100 Jahre Schiffbautechnische Gesellschaft e. V. Berlin; 1999 Katalog zur Ausstellung

 

[10] Strohbusch, E. :Schiffbau.: Entwurf, Konstruktion, Fertigung; in 75 Jahre STG Hamburg 1974

 

[11] Schreiber Mysten, Maurer und Mormonen, Geheimbünde in vier Jahrtausenden, Paul Neff Verlag, Wien-Berlin-Stuttgart 1956

 

[12] Valentin Probst (Herausgeber), Roland Reche, Herbert Schneekluth

 

Von Latten und Molchen: Erinnerungen der Schiffbauer Crew XII/39

 

[13] N.N.: Ordenszeitungen der Latte Berlin, verschiedene Jahrgänge, Latte Eigenverlag

 

[14] Wessel, J. : Deutscher Marineschiffbau zwischen 1899 und 1999, in 100 Jahre Schiffbautechnische Gesellschaft e. V. Berlin; 1999 Katalog zur Ausstellung STG Ausstellungskatalog

 

[15] Hochhaus, K.-H.: Antriebsanlagen, in Leidenschaft Schiffbau, ISBN 3-7822-0791-2, Koehler-Verlag

  

[16] Hochhaus, K.-H.: Schifffahrt und Schiffbau Statistik, in Handbuch der Werften, verschiedene Jahrgänge, Schifffahrtsverag „Hansa“ C. Schroedter & Co., Hamburg

 

[17] N. N.: Statistische Daten, Verband Deutscher Reeder, Hamburg, mehrere Jahrgänge, Hamburg

 

[18] N.N.: VSM Jahresberichte, verschiedene Jahrgänge, Verband für Schiffbau und Meerestechnik e.V., Hamburg

 

[19] Zachcial, M., Heideloff, C.: Shipping Statistics Yearbook , mehrere Jahrgänge  Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik, Bremen

 

[20] N. N.: Daten zu den Jahresberichten, verschiedene Jahrgänge, VDMA, Hamburg