Abbildung 12: Der Vorstand der Berliner Latte eröffnete am Abend das traditionelle Ordensfest (Foto Dr. Hochhaus)
Abbildung 12: Der Vorstand der Berliner Latte eröffnete am Abend das traditionelle Ordensfest (Foto Dr. Hochhaus)

 

Schiffs- und Meerestechnik beim 2. Berliner Symposium an der Technischen Universität Berlin

1. Einführung
Aus der Vielzahl der Tagungen mit schiffs- und meerestechnischem Hintergrund hat sich seit 2011 das „Berliner Symposium“ mit der Besonderheit herausgeschält, dass es von den Studenten gegründet wurde und auch weitgehend von diesen organisiert und veranstaltet wird. Die Vereinigung „Latte“ der Berliner Schiffbaustudenten und die Fachgebiete „Entwurf und Betrieb Maritimer  Systeme“ sowie „Dynamik Maritimer Systeme“ der TU Berlin hatten zum 17. Februar 2012 in der ehemaligen „Versuchsanstalt für Wasser- und Schiffbau“ zum 2. Berliner Symposium eingeladen. Die zwei. Vortragsrunden der mit rund 100 Teilnehmern gut besuchten Veranstaltung wurde von Prof. Dr.-Ing. Gerd Holbach und Prof. Dr.-Ing. Andrés Cura Hochbaum moderiert.

2. Aktuelle Themen aus der Forschung in der Passagierschifffahrt
Dipl.-Ing. Thomas Witolla, Leiter der  Forschungs- und Entwicklungsabteilung der Meyer Werft in Papenburg, hielt den 1. Vortrag und ließ das Auditorium an der Zukunft teilhaben. Derzeit werden 25 F- und E-Vorhaben auf der Werft durchgeführt, die als nichtöffentliche Projekte mit eigenen Mitteln und als öffentliche Projekte sowohl national als auch von der EU finanziert werden. Es sind in der Regel anwendungsorientierte Projekte, die auf die Produkte und die besondere Art der Produktion (Abb. 1) der Meyer Werft bezogen sind. Dabei haben die Energieeffizienz und die Umwelt hohe Priorität ebenso wie die Lebenszeitkosten der Schiffe. Das neue der Reederei angepasste Design (Abb. 2), die Logistik und die Vorschriften wurden von Witolla als weitere wichtige Herausforderungen genannt. Als Antworten im Bereich der Energie dienen die Vorhaben „Paxell“ (Energiemanagement), „Gaspax“ (LNG - Lagerung) und „Bungas“ (LNG - Bunkerung). So ist es geplant, jede Feuerzone zukünftig zur elektrischen Energieversorgung der Hotellast mit je einer Brennstoffzelle von 1.000 kW Leistung auszustatten.
In dem von allen großen europäischen Schiffswerften durchgeführten EU-Förderprojekt BESST, an dem auch die Zulieferindustrie und externe Forschungsinstitute beteiligt sind, liegt der Schwerpunkt auf der Steigerung der Effizienz moderner Kreuzfahrtschiffe und Fähren. Neben dem Betrieb der Schiffe wird auch die Herstellung unter Berücksichtigung von Energieeffizienz, Umweltschutz, Kosten, Sicherheit sowie die Komfortverbesserung der Passagiere untersucht. In diesem Zusammenhang wurde auch die Finanzierung angesprochen, denn von der Auftragserteilung bis zur Ablieferung eines Kreuzfahrtschiffes werden rund 90% des Schiffswertes von rund 500 Mio. $ durch die Werft vorfinanziert. Ein wichtiger Grund, die Durchlaufzeit mit intelligenter Taktfertigung zu beschleunigen. Die Maßnahmen der Meyer Werft bezüglich dieser Fertigungsmethode wurde an beeindruckenden Beispielen des Laserzentrums vorgestellt. Die Optimierung der Arbeitsprozesse im Laserzentrum wurden von der Firma Porsche Consulting begleitet.

3. Energiewende als Chance und Herausforderung am Beispiel der Offshore Windenergie-Gewinnung
Dipl.-Ing. Jörgen Thiele, Vorstand der Stiftung „Offshore Windenergie“, begann mit der Erfolgsgeschichte der Windenergie, die mit dem ersten Gesetz zur Förderung der Erneuerbaren Energien (Stromeinspeisegesetz) im Jahr 1991 eingeleitet wurde. Schnell wachsende Anlagenleistungen an Land (Abb. 3) waren das Ergebnis, und kurz darauf begannen die Planungen für die ersten deutschen Offshore Windenergieparks.
Die Stiftung „Offshore Windenergie“ wurde 2005 gegründet und erlebte mit der Realisierung des Offshore Testfelds „Alpha Ventus“ die erste große Herausforderung. Aufgrund der großen geforderten Entfernungen von der Küste und der hier herrschenden Wassertiefen ergaben sich hohe Ansprüche an die Konstruktion, den Bau und die Errichtung dieser Anlagen. Die aus Wind und Seegang resultierenden Umweltbedingungen führten zu unerwarteten Schwierigkeiten und Verzögerungen beim Aufbau der Anlagen. Der Bau von „Alpha Ventus“ erfolgte ab 2006 unter dem Betreiberkonsortium DOTI (EWE, E.ON, Vattenfall) und wurde 2010 offiziell eingeweiht Mit dem Windpark wurden wertvolle Erfahrungen gesammelt und der erhoffte Durchbruch zur Errichtung leistungsstarker Anlagen im tiefen Wasser ist gelungen. Die Stiftung ist seit 2005 Rechteinhaber des Windparks und koordiniert die Begleitforschung (RAVE, BMU), in die bis 2013 rund 50 Mio. Euro investiert wird. In 30 Einzelprojekten untersuchen 40 Unternehmen die Gründungs- und Tragstrukturen, die Anlagentechnik, den Betrieb, die Messtechnik und die Koordination. Weitere Forschungsthemen sind die Netzintegration, die Ökologie, die Sicherheit und die Akzeptanz bei der Bevölkerung.
Im Jahr 2012 sollen in Nord- und Ostsee Windparks mit einer Kapazität von mehr als zwei Gigawatt in den Bau gehen und rund ein Gigawatt den Betrieb aufnehmen (Abb. 4). Dafür müssen die notwendigen Netzanbindungen und Trafostationen installiert werden. Aus verschiedenen Gründen kommt der notwendige Ausbau der Netze der in Bau befindlichen, genehmigten und zur Genehmigung anstehenden Offshore - Windparks nicht voran. Aber auch der Ausbau der notwendigen landseitigen Netze stockt und verzögert sich. Daher wurde vom Bundesumwelt- und Bundeswirtschaftsministerium die AG „Beschleunigung Offshore - Netzanbindung“ ins Leben gerufen, die von der Stiftung koordiniert wird. Das Ziel der AG ist es, Lösungen für eine fristgerechte Netzanbindung der Offshore -Windparks zu entwickeln und vorzuschlagen.
4. Evolution der elektrischen Propulsion
Dipl.-Ing. Uwe Heine von SAM Electronics (Hamburg) ermöglichte dem Auditorium mit seinen Ausführungen einen spannenden Überblick über eine Technologie, die sich in wichtigen Segmenten der Schifffahrt zunehmend Marktanteile sichert. Etwa 4% aller neuen Schiffe über 100 GT haben heute einen elektrischen Antrieb. Darunter befinden sich Offshoreschiffe mit 95%, Eisbrecher mit 90%, Passagierschiffe (Abb. 5) mit 85%, Megayachten mit 50% und RoRo- sowie Fährschiffe mit 12%. Bei den Passagier- und Forschungsschiffen steht die geringe Geräuschentwicklung und flexible Aufstellung der Dieselgeneratoren, der Leistungselektronik und der Propellerantriebe im Vordergrund. Probleme bei der Anwendung der Leistungselektronik entstanden durch das Zünden der Thyristoren und führten durch Kommutierungseinbrüche zu einer schlechten Bordnetzqualität, die durch den Klirrfaktor definiert wird. Der Klirrfaktor ist ein Maß für unerwünschte Verzerrungen eines ursprünglich sinusförmigen Wechselstroms. Mit verschiedenen Maßnahmen wurden anfängliche Werte des Klirrfaktors von 17% auf heute 5% reduziert. Derartige  „Saubere Netze” werden durch die sogenannte “Active Frontend” Technologie (AFE) ermöglicht.

Bei Offshoreschiffen (Abb. 6) hat das Dynamische Positionieren und die dafür erforderliche Redundanz der Propulsionssanlage eine hohe Priorität. Je nach Anwendung und vorgegebener Sicherheit wird die erforderliche Redundanz in drei Stufen differenziert:
-DP1 Redundanz nur im System zum Dynamischen Positionieren
-DP2 Redundanz für Vortrieb und Steuerung (mechanische und elektrische Trennung, Systemunabhängigkeit)
-DP3 höhere Redundanz für Vortrieb und Steuerung, (mechanische und elektrische Trennung, Systemunabhängigkeit, Anordnung in getrennten Räumen)
Bei all den Redundanzbetrachtungen wird immer von einem „Ein-Fehler-Ereignis“ ausgegangen. Mehrere Fehler, die gleichzeitig auftreten, werden nicht betrachtet.

Abschließend stellte Heine das POD - System (Abb. 7) und die Lösungen zum Landanschluss (SAMCon) vor. Letztere Systeme beinhalten die Anpassung von Spannung und Frequenz (6.600 Volt,  50/60 Hz) von Land zum Schiff, Umschaltung ohne Black-Out und Leistungen bis zu 7,2 MVA.

5. Hydrodynamic challenges for ships and offshore structures
Das Maritime Research Institute (Marin) in Wageningen wurde von Dr.-Ing. Bas Buchner (Präsident von Marin) in einer umfangreichen Präsentation vorgestellt. Das Marin wurde 1929 als Netherlands Ship Model Basin (NSMB) von der niederländischen Regierung und der Industrie gegründet, hat rund 300 Mitarbeiter und ist in sechs Geschäftsbereiche (offene See, Schiffe, Maritime Simulationen, F&E, Nautik sowie Erprobung und Monitoring) gegliedert.
Vor dem Hintergrund der zukünftigen Trends, den technischen und wirtschaftspolitischen Herausforderungen wurde die Marin-Strategie der kommenden fünf bis zehn Jahre angesprochen. Als Herausforderungen werden neben dem Klimawandel (Emissionen) die Probleme der Rohstoff- und Energiebeschaffung sowie der Mangel an Frischwasser und  Nahrungsmitteln genannt. An den Lösungen in der Schifffahrt (Energieeinsparung s. Abb. 8, Emissionen, Lärm, alternative Antriebe, LNG), innovative Häfen (Interaktion Schiff und Häfen, Logistik, Binnenschifffahrt) und Rohstoffgewinnung (Tiefsee-Bergbau s. Abb. 9, Öl & Gas, erneuerbare Energien) wird gearbeitet. Zum Thema erneuerbare Energien wurden neben der Offshore Windkraft die Nutzung der Wellenenergie im Meer sowie Unterwasser-Strömungskraftwerke vorgestellt. An Beispielen von Simulationen und Tankuntersuchungen demonstrierte Buchner Lösungsansätze für Hubschrauber-Operationen bei fahrenden Schiffen und zur Seegangskompensation von Kranschiffen beim Beladen und Löschen von Schiffen.

6. Heraus forderung Offshore – Eis
Mit einem wahren Feuerwerk von Daten, Fakten und interessanten technischen Details begeisterte Dr.-Ing. Walter Kühnlein (Abb. 10, Fa. Sea2Ice Ltd.) das Auditorium im letzten Vortrag. Er berichtete über das EU-Vorhaben zur Eisforschung im „Loleife & Strice“ Projekt, über Untersuchungen im Bottnischen Meerbusen und die Herausforderungen des gigantischen „Stockmann-Gasfeldes“ in der Barentssee.
Die Offshore-Arbeiten im Eis wie z. B. im nördlichen Kaspischen Meer, mit einer Fläche von Deutschland der größte See der Welt, wurden in Worten und Bildern beschrieben. Das „Kashagan Ölfeld“ mit Abmessungen von 75 x 35 Kilometern des „North Caspian Projects“ mit riesigen Erdölvorräten befindet sich in nur 3 Meter Wassertiefe im nördlichen Teil des Kaspischen Meeres, wurde 2000 entdeckt und gilt als eines der größten Fundstellen mit Reserven um 10 bis 20 Milliarden Barrel. Das Feld wird vom Konsortium AgipKCO, ConocoPhillips, Impex, British Gas, BP Amoco, Exxon/Mobil, Shell und Total erschlossen. Es soll voraussichtlich bis Ende des Jahres 2012 mit der Förderung beginnen. Der Temperaturbereich  von -35 °C bis +40 °C stellt die Wissenschaftler und Betriebsingenieure der Anlagen vor riesige Herausforderungen, da die bisher bekannten Gesetzmäßigkeiten aus Schifffahrt und Offshore nicht gelten. Um den riesigen Eiskräften und den extrem hohen Ölreservoirdrücken auszuhalten, wurde u. a. die Bohrplattform Sunkar (Parker Rig 257, Abb. 11) für die amerikanischen Erölbohrfirma Parker Drilling entwickelt, gebaut und in Betrieb gesetzt.
Wenn das Eis sich zu riesigen Eisrücken auftürmt, versagen alle bisher bekannten Strategien zum Schutz der technischen Einrichtungen und der Menschen. Neue unkonventionelle Lösungen sind gefragt, um die Sicherheit zu gewährleisten.

7. Das Berliner Symposium und das Ordensfest
Das Symposium wurde maßgeblich durch die Studenten der Berliner Latte unter der Verantwortung des Vorstandes (Ordensmeister Antonio Lengwinat, Kanzlerin Pia Maria Haselberger, Ceremon Rhena Klose, Abb. 12) organisiert. Am Abend fand das traditionelle Ordensfest im Voigt-Sass-Saal der TU-Berlin statt, dass von vielen aktiven aber ehemaligen Studenten, die heute auf Werften, in Ingenieurbüros, Hochschulen und der Zulieferindustrie tätig sind, besucht wurde.


 

 

Abbildung 1: Kiellegung der „Celebrity Reflection“ im Baudock am 13. 9. 2011 (Quelle Meyer Werft)

Abbildung 2: Disney Fantasy im Januar 2012 (Quelle Meyer Werft)
Abbildung 2: Disney Fantasy im Januar 2012 (Quelle Meyer Werft)
Abbildung 3: Entwicklung der Windenergieanlagen von 1980 bis 2008,  Abmessungen, Leistung und Jahresenergieertrag  (Quelle Thiele)
Abbildung 3: Entwicklung der Windenergieanlagen von 1980 bis 2008, Abmessungen, Leistung und Jahresenergieertrag (Quelle Thiele)
Abbildung 4: Die grafische Darstellung der geplanten jährlichen Offshore-Windanlagen (linke Ordinate) und die Gesamtleistung (rechte Ordinate) zeigt die gewaltigen Herausfordeungen der deutschen Offshore Industrie (Quelle Thiele)
Abbildung 4: Die grafische Darstellung der geplanten jährlichen Offshore-Windanlagen (linke Ordinate) und die Gesamtleistung (rechte Ordinate) zeigt die gewaltigen Herausfordeungen der deutschen Offshore Industrie (Quelle Thiele)
Abbildung 5:Die Darstellung der elektrischen Propulsionsanlage zeigt die flexible Anordnung der Aggregate  in den unteren Decks (Quelle Heine)
Abbildung 5:Die Darstellung der elektrischen Propulsionsanlage zeigt die flexible Anordnung der Aggregate in den unteren Decks (Quelle Heine)
Abbildung 6: Auch bei den Offshore-Versorgern mit hohen Redundanzanforderungen wird eine flexible Anordnung der Maschinen- und Antriebsanlgen ermöglicht (Quelle Heine)
Abbildung 6: Auch bei den Offshore-Versorgern mit hohen Redundanzanforderungen wird eine flexible Anordnung der Maschinen- und Antriebsanlgen ermöglicht (Quelle Heine)
Abbildung 7: Elektrischer Podantrieb, links Montage, rechts einbaufertig (Quelle Heine)
Abbildung 7: Elektrischer Podantrieb, links Montage, rechts einbaufertig (Quelle Heine)
Abbildung 8: Versuch und Großausführung zur Reibungsreduzierung durch Luftschmierung (Quelle Buchner)
Abbildung 8: Versuch und Großausführung zur Reibungsreduzierung durch Luftschmierung (Quelle Buchner)
Abbildung 9: Mit dem Tiefseebergbau und innovativen Geräten werden zukünftige Rohstoffprobleme gelöst (Quelle Buchner)
Abbildung 9: Mit dem Tiefseebergbau und innovativen Geräten werden zukünftige Rohstoffprobleme gelöst (Quelle Buchner)
Abbildung 10: North Caspian Projekt, Parker Rig 257 im Kaspischen Meer mit und ohne Eis (Quelle Dr. Kühnlein
Abbildung 10: North Caspian Projekt, Parker Rig 257 im Kaspischen Meer mit und ohne Eis (Quelle Dr. Kühnlein
Abbildung 11: Dr. Walter L. Kühnlein, Geschäftsführer der Firma Sea2Ice Ltd.  (Quelle Dr. Kühnlein)
Abbildung 11: Dr. Walter L. Kühnlein, Geschäftsführer der Firma Sea2Ice Ltd. (Quelle Dr. Kühnlein)